Schönes Debüt!

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KRUMMES HOLZ
Julja Linhof

Vor fünf Jahren hatte man Jirka auf ein Internat abgeschoben. Er schwor sich, nie wieder auf den Hof zurückzukehren, ins krumme Holz - Vaters Hof in Südwestfalen.
Diverse Male hatte ihn seine Schwester Malene um Unterstützung gebeten, ihn ermutigt, endlich nach Hause zu kommen, denn Vater Georg wollte den Hof verkaufen.
Malene hätte zu gerne den Hof geerbt. Sie hatte eine landwirtschaftliche Lehre absolviert, doch das bedeutete noch lange nicht, dass der Vater ihr den Hof vermachen würde.

Dann fährt Jirka doch nach Hause - zu seiner Familie.
Familie. Das Wort steht für emotionale Kälte. Für Unausgesprochenes. Für Gewalt.
Kurz vor Mutters Tod zog die Großmutter ein. Kalt und hart war sie. Liebe konnte sie keine schenken. Arbeiten musste man - jeden Tag.
Von dem Vater gab es mehr Schläge als Worte.

„Ich weiß sofort, dass es der Anruf gewesen sein muss. […] Ich springe vom Stuhl. Doch Georg packt mich im Genick, bevor ich loslaufen kann. Die Wucht, mit der er nach mir greift, wirft mich mit der Brust gegen den Tisch. […] Er hatte unrecht. Ich will schwimmen lernen. Ich hätte liebend gerne schwimmen gelernt, aber auch mit neun Jahren weiß ich schon, was Scham ist. Während die anderen Jungen sich in der Umkleidekabine ohne Umschweife die Kleider abstreifen, fühle ich mich wie gelähmt. In einer Badehose kann ich vor niemanden verstecken, was zu Hause passiert. Und nichts will ich lieber, als mich verstecken. Unsichtbar sein vor den Augen meiner Mitschüler". (S. 116)

Als Jirka dann auch noch feststellt, dass er sich zu seinem eigenen Geschlecht hingezogen fühlt, kann er mit der Scham kaum noch leben.

Es ist die Geschichte eines Geschwisterpaares, das ohne Liebe und Zuwendung aufwächst. Julja Linhof hat für ihr Debüt eine wunderschöne poetische Sprache gewählt, die fast im Widerspruch zu dieser bitteren, melancholischen Atmosphäre steht.
Die Charaktere und die Landschaftsbeschreibungen sind so wunderschön und zart herausgearbeitet, dass ich fast das Gefühl hatte, mitten im Geschehen zu sein. Auch der Erzählstil ist besonders und gefiel mir sehr.

Fazit:
Ein feines Debüt, das beim Lesen ein wenig schmerzt, aber absolut beeindruckend ist.
Ich wünsche Julja Linhof eine große Leserschaft und hoffe, dass wir noch viel von ihr lesen werden.
4/ 5