Jan Weiler wird erwachsen

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singstar72 Avatar

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Jan Weiler überrascht mich mit diesem Band, und mit diesem Konzept rund um den Polizisten Kühn. Begonnen hatte seine Schriftsteller-Karriere ja mit eher klamaukigen Büchern rund um kulturelle Missverständnisse („Maria, ihm schmeckt‘s nicht“). Was ja durchaus seine Berechtigung hatte. Doch der Autor scheint wesentlich gereift, und versucht sich mit Martin Kühn an einer spannungsgeladenen Mischung aus Realsatire, Midlife-Crisis und Kriminalroman. Das ist ihm über weite Strecken unterhaltsam bis sehr gut gelungen.

Mir gefällt an diesem Buch gerade die Uneindeutigkeit und Vielstimmigkeit. Obwohl aus der Perspektive einer einzigen Person erzählt, des Polizisten Martin Kühn, ist es doch in keine Schublade eindeutig einzuordnen. Schon in der Leseprobe war mir das aufgefallen – war es nun eine bissige Abrechnung mit sozialen Unterschieden, die Schilderung einer persönlichen Krise, oder ein Krimi? Nun, gewissermaßen ist es alles.

Der Aufhänger für das Buch ist sicher der Kriminalfall – ein 17jähriger Jugendlicher mit Migrationshintergrund ist brutal erschlagen worden. Martin Kühn und sein Kollege Steierer beginnen zu ermitteln. Sie tauchen ein in die Welt der Superreichen, denn das Opfer war mit einem Mädchen aus gutem Hause befreundet. Schon hier blitzt immer wieder der bissige Jan Weiler durch. Diese Welt der Reichen wird mit einer guten Prise Sarkasmus geschildert, dass es nur so kracht. Ich habe mich wirklich köstlich amüsiert…!

Das ist schon der zweite wichtige Aspekt des Buches – der satirische. In anderen Abschnitten nämlich, wenn Kühn über sein Privatleben sinniert, zum Arzt geht, sich mit Kantinenessen herumschlägt, einen Kongress besucht oder sich mit seinem Kollegen anlegt, lässt Weiler keine Gelegenheit aus, hintersinnige Seitenhiebe einzubauen. Das Leben eines Polizisten mittleren Alters, zumal nach einem Burn-Out, ist eben nicht ohne Tücken. Kühn pendelt beständige zwischen Prostata und Propaganda. Dabei beeindruckt Weiler den Leser mit durchaus tiefsinniger anmutenden Passagen. Einziger Kritikpunkt meinerseits: die kursiv gedruckten inneren Monologe Kühns. Die sind mir oftmals zu flach geraten. Auch finde ich, dass die wunderbar überzeichneten Passagen über die am Reißbrett entworfene Wohnsiedlung Kühns ruhig mehr Raum hätten einnehmen können.

Der dritte Aspekt des Buches ist sicher „ein Mann in mittleren Jahren“. Was in den „Maria“-Büchern noch wunderbar leichtfüßig gelang, nämlich die Schilderung einer Ehe, gerät hier mitunter ein wenig einfallslos – was auch bei mir zu einem Punkt Abzug führt. Kühn sagt es selber an einer Stelle. Sich auf einer Tagung mit einer Kollegin einzulassen – nicht sonderlich originell. Und er begehrt sie nicht einmal wirklich. Auch die gegenseitigen Verdächtigungen des Ehepaars Kühn, das Streitgespräch in der Küche, „wir waren doch früher nicht so“… na ja. Das ist ganz einfach nicht Jan Weilers Stärke.

Sehr gelungen finde ich das Ende des Buches, den Showdown sozusagen, die Auflösung des Kriminalfalls. Sehr gekonnt versetzt sich der Autor in die Seelenlage reicher, überdrehter Jugendlicher. Er lässt Martin Kühn mit seinen Verhörtechniken zu wahren Höchstleistungen auflaufen. Und er schreibt ein ganzes Kapitel als Verhör-Mitschnitt; vielleicht das beste des ganzen Buches. Im Epilog gibt es dann einen angenehm offenen Ausklang – Kühn geht mit seinem eigenen Sohn einkaufen. Man darf vermuten, dass es Fortsetzungen geben wird, denn einiges bleibt offen.

Insgesamt kann ich das Buch wirklich nur empfehlen. Es zeigt, dass man auch als Humorist Tiefsinn beweisen darf. Und dass ein Krimi auf dem heutigen Buchmarkt großzügig interpretiert werden kann. Wohlverdiente vier von fünf Sternen.