Ein gelungenes Stück Vergangenheitsaufarbeitung aus weiblicher Sicht ohne feministische Keule.

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Du musst dich entscheiden: entweder du verbringst dein Leben in der Salpêtrière, einer Mischung aus Krankenhaus, psychiatrischer Anstalt und "Verwahrungsort" für unangepasste Frauen; oder du wagst den kompletten Neuanfang auf der anderen Seite des großen Teiches. Wobei die Protagonistinnen des sehr profund recherchierten, feministischen Historienromans von Julia Mayle (Ü: Sina de Malafosse) gar keine große Wahl hatten. Die Vorsteherin der Anstalt erhielt den Auftrag, 90 gebärfähige junge Damen in die neue Kolonie der Franzosen zu schicken: la Lousiane. Mit ein paar Besatzern war es schließlich nicht getan, möchte man völlig willkürlich neues Land sein Eigen nennen - nein, man muss dort schon eine eigene Gesellschaft gründen, und das wird ohne Frauen schwierig.
Eine tolle Idee also für Frankreich, Frauen, die unangenehm aufgefallen sind, loszuwerden, und gleichzeitig für reinblütige französische Nachkommen in der neuen Welt zu sorgen.

Die drei Protagonistinnen des multiperspektivisch verfassten Romans gehen ganz unterschiedlich mit dem Los um, ausgewählt worden zu sein, aber dennoch begann hier meine Schwierigkeit mit dem Buch: obwohl Charlotte, Pétronille und Geneviéve wirklich unterschiedlich sind, konnte ich die Kapitel und Personen nicht immer gleich zuordnen, was die Lektüre erschwerte. Zu identisch war der Erzählstil. Besonders gut gefallen hat mir hingegen eine weitere Sichtweise, die gegen Ende des Buches die Handlung abrundet: eine Indigene kommt zu Wort.
Eines zieht sich allerdings wie ein roter Faden durch die Geschichte: Unbarmherzigkeit. Das Leben ist hart, es gibt kaum etwas Vertrautes, Grabenkämpfe um Land, Rohstoffe und später auch Sklav*innen machen einen friedvollen Alltag unmöglich.

Prinzipiell hat mir der Roman inhaltlich gut gefallen. Ohne jegliche Verklärung blickt Julia Mayle in die Vergangenheit und vielleicht ist es gerade der emotionale Abstand, der für mich die Gräueltaten des Kolonialismus noch einmal deutlicher werden lässt: wie irre ist es eigentlich, Landstriche zu besetzen und Menschen gefangen zu nehmen, ohne jeden Anspruch, und irgendwie halten sich alle irgendwann daran? Auch die verschiedenen Strategien, die die Frauen entwickeln (müssen), um mit ihrem neuen Leben klarzukommen, sind spannend, wenn auch desillusionierend. Ein gelungenes Stück Vergangenheitsaufarbeitung aus weiblicher Sicht ohne feministische Keule. Allerdings hätte für meinen Geschmack die Handlung etwas schneller voranschreiten dürfen.