Ach ihr

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herr_stiller Avatar

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Sie sind mir schon ans Herz gewachsen, Isi, Carl und Artur. Wie sie sich durch die Gräuel des Ersten Weltkriegs gekämpft haben, getrennt wurden und sich im Nachkriegsberlin fern der Heimat wiederfanden und gleich wieder im Schlamassel saßen. Ich hätte ihnen gerne etwas Ruhe gewünscht, eine Tasse Kaffee unter den Linden, ein paar flauschige Gespräche über die Zukunft des (Ton-)Films, aber natürlich wäre das absurd gewesen. Stattdessen: ein nächtlicher Überfall, ein Sprung aus dem Fenster, ein Schicksalsschlag. Mal wieder.

„Labyrinth der Freiheit“, der dritte und vorerst letzte Teil der „Wege der Zeit“-Reihe, balanciert noch stärker als seine Vorgänger hart auf dem genretypisch schmalen Grat zwischen spannendem Historienroman und actiongeladenem Nostalgiekitsch. Im Vergleich den ersten beiden Bänden droht immer wieder der Absturz, aber Andreas Izquierdo schafft es gerade noch so, den Roman auf Linie zu halten.

Carl trauert der verpassten Chance nach, Lubitsch in die USA zu folgen, dreht stattdessen die ersten Tonfilme mit Fritz Lang. Isi, die frühe Feministin, kümmert sich um Frauen, denen vom Berliner Leben in den frühen 1920er-Jahren und vor allem deren Männern übel mitgespielt werden. Und Artur nutzt seine Position, weiter Jagd zu machen auf die, die den drei Freunden an den Kragen wollen – die von Torstayns und die Boysens.

Wer „Schatten der Welt“ und „Revolution der Träume“ nicht kennt, wird es schwer haben, sich zurechtzufinden, vielleicht auch, das Buch zu schätzen. Es passiert viel auf den 500 Seiten, es gibt keine Pause und keine Erklärungen, keine Rückblenden. Alte Bekannte tauchen auf, auch einige neue Figuren, für die meisten endet es tragisch, andere sind gar nicht so wichtig.

Manche Nebengeschichten verlieren sich ein wenig, manche überraschen positiv. Der Blick auf den Zeitgeist macht mal Freude, besonders der augenzwinkernde Spaß mit Isis E-Roller, die es ja tatsächlich schon vor hundert Jahren gab, häufiger aber Angst und Ohnmacht, wie beim aufkeimenden und unabwendbaren Nationalsozialismus, der Verfolgung Homosexueller und bei den quasi nicht vorhandenen Frauenrechten sowieso. Und so manches Mal ertappt man sich doch bei der Frage, in welchem Jahrhundert der Roman spielt und wo es Parallelen zur heutigen Zeit gibt.

Golden sind diese Berliner 20er-Jahre in „Labyrinth der Freiheit“ niemals, sie sind dreckig-grau und blutrot. Und dramatisch, bis zum Schluss. Ob das Ende wirklich das Ende ist? Die Zeit wird es zeigen – noch sind die 20er-Jahre nicht vorbei und die UFA-Geschichte geht gerade erst los. Vielleicht erwartet die Freunde ja doch noch ein kleines Stück vom Glück. Zu erwarten ist es allerdings eher nicht. Ach ihr.