Ein Lese-Highlight 2021

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<> (Seite 336 unten) Winston drückt meine freie Hand und sagt: „Wie ich bereits vor vielen Jahren sagte: Du bist meine Geheimwaffe.“
Und genau dies machte Lady Clementine, geborene Hozier, zeit ihres Lebens zu schaffen. Sie wusste schon früh, dass es ihre Aufgabe war, Winston nicht nur zu stützen sondern auch ein Stück weit zu lenken. Was aber sowohl im Widerspruch zu der damaligen (und auch heutigen) Rolle der Frau in der Gesellschaft stand als auch ihren eigenen Ansprüchen an sich als Mutter. So ist es nicht verwunderlich, dass sie selbst immer an sich und ihren Fähigkeiten als Mutter zweifelte – im Gegensatz zu ihren Fähigkeiten auf dem politischen Parkett, die sie nie in Frage stellte.
Marie Benedict gelingt es in meinen Augen schon fast genial, diese Zerrissenheit in ihrem Buch über Lady Churchill darzustellen. Was bei mir auch immer noch nachhallt, ist die Frage, die sich schon ziemlich zu Beginn des Buches bei mir aufgetan hat: „Ist es für Frauen heute wirklich so anders?“ Schaut man sich die Diskussionen um die Kanzlerkandidatur Annalena Baerbocks an, möchte man schon fast schreien: „Es hat sich nichts geändert!“. Und ja, selbst die Schilderungen, in denen Clementines Schwester, Cousine, Freundin oder wer auch immer aus ihrem näheren sozialen Umfeld sie auf ihr „unweibliches“ Verhalten hinweisen, finden auch heute noch allenthalben statt. Nicht? Doch – man höre nur einmal genau hin, wenn solche Themen im Alltag diskutiert werden. Ich weiß nicht, warum mich das so beschäftigt, aber es beschäftigt mich immer noch.
Was dieses Buch für mich noch reizvoll macht, ist die Tatsache, dass die Geschichte nicht zu kurz kommt. Dass Churchill während und nach dem WK II eine tragende Rolle im Weltgeschehen gespielt hat, dürfte hinlänglich bekannt sein. Dass er aber schon vorher DER aufgehende Stern am politischen Commonwealth-Himmel gewesen ist, der jäh abstürzte, war mir nicht präsent.
Die Tagebuch-Form, in der das Buch geschrieben ist, lässt den Leser tief in das Leben der Churchills einsinken. Für mich ist das noch eine Stärke des Buches, diese Ich-Form, die alles noch intensiver macht. Es zeigt auch eine tiefe Liebe, die zwischen den Eheleuten geherrscht haben muss. Denn so ein Vertrauen, das hier beschrieben wird, ist nur möglich, wenn man sich wirklich zugetan ist. Winston erkannte schon früh, dass er mit einer Frau an seiner Seite, die den gesellschaftlichen Normen entsprach, nicht glücklich werden würde. So ist es nicht verwunderlich, dass ihn Clementine mit ihrem doch eher unangepassten Wesen – wovor sie sich selbst erschreckte – reizte; hatte er doch den Eindruck, dass sie das Gegenstück mit Verstand und Meinung war, das er brauchte.
Marie Benedict verhilft mit ihrem Roman dieser weitgehend unbekannten aber äußerst wichtigen Person in Churchills Leben hoffentlich zu der Anerkennung, die ihr zusteht. Clementine Churchill, geborene Hozier, war ihrer Zeit immer voraus und kann durchaus als Vorbild dienen. Auch wenn man sich unter einer emanzipierten Frau heute vielleicht etwas anderes vorstellen mag.
Der Vollständigkeit halber erwähne ich noch, dass das Buch sehr flüssig geschrieben ist, mit nachvollziehbaren Gedankengängen der Protagonistin. Oder die Übersetzung ist sehr gut geworden. Hier möchte ich ein großes Lob an Marieke Heimburger aussprechen, denn wenn ein übersetztes Buch es schafft, solche Emotionen hervor zu rufen, ist es gut übersetzt.
Von mir bekommt „Lady Churchill“ von Marie Benedict 5 von 5 Sternen und die ganz persönliche Auszeichnung „Lese-Highlight 2021“