Oh my darling

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Wenn es um sehr gute Romanbiografien geht ist die amerikanische Schriftstellerin Marie Benedict eine der renommiertesten Autorinnen. Ob sie nun über Mileva Marić-Einstein, Hedy Lamarr oder Agatha Christie schreibt (leider noch nicht alle auf deutsch übersetzt erschienen), ihre Bücher zeichnen sich aus durch exzellente Recherche und literarische Qualität. In ihrem neuen Buch geht es nun um Clementine Churchill, der Ehefrau Winston Churchills.

Marie Benedict zeichnet ein prägnantes Bild dieser - für ihre Zeit - sehr fortschrittlichen Frau. Sehr gut geschrieben, liest sich das Buch flüssig, ist stets interessant und regt zur eigenen Recherche über das prominente politische Paar an.

Clementine Hozier trifft ihren späteren Ehemann erstmalig 1906, behutsam beschreibt Marie Benedict die sich langsam entwickelnde Liebesbeziehung. Clementine merkt bald, dass er "dieselbe Begeisterung und denselben Idealismus in Sachen Politik, Geschichte und Kultur an den Tag legte, die auch ich in mir trug. Und noch etwas verband uns: …. Wir hatten beide eher unkonventionelle, lieblose Mütter". 1908 heiraten die beiden, Churchill ist zu dieser Zeit britischer Handelsminister. Zweimal wird er Premierminister, 1940 – 1945 führt er Großbritannien durch den 2. Weltkrieg und 1951 – 1955 prägt er die Nachkriegsjahre seines Landes in einer sich rasch verändernden Weltordnung.

Clementine wird zur glühendsten, zur wichtigsten Unterstützerin ihres Mannes. Sie sieht sich als Wächterin und Behüterin Winstons und der gemeinsamen Sache. Doch will sie nicht nur Anhängsel ihres Mannes sein. Sie redigiert seine Reden, unterstützt ihn beim Wahlkampf, ist seine strategische Ratgeberin, glättet die Wogen nach seinen oft poltrigen Auftritten …. und er verlässt sich voll und ganz auf sie. Sie positioniert sich öffentlich mit eigenen Reden zu Gesellschaft und Politik – sehr ungewöhnlich für damalige Zeiten.

Clementine Churchill ist sich ihrer Bedeutung für Winston, privat und beruflich durchaus bewusst, doch hat er wirklich so viel von ihr gefordert? Sie selbst tut alles um unentbehrlich zu sein und manchmal hat man den Eindruck, sie kümmere sich zu viel, drängele sich geradezu hinein in sein politisches Tagesgeschäft und überfordere so sich und ihn. Alles, alles, alles erscheint ihr besser, als sich mit Erziehung und Wohlergehen ihrer Kinder zu befassen. Fünf Kinder haben die beiden, doch es gilt "Winston First" und Clementine ist nicht der mütterliche Typ. Für zuverlässige Verantwortung und Unterstützung, für Trost und Liebe sind Nannies zuständig. Es gibt solche Ehen, in denen die Partner so symbiotisch verwoben sind, dass nichts und niemand – auch kein Kind – dazwischen passt. Nancy und Ronald Reagan fallen mir dazu sofort ein.

Schmälert das nun Clementine Churchills Lebenswerk? Keineswegs, finde ich. Sie war Churchill stets eine gute Ehefrau und ein politischer Gewinn. Sie ging mit ihm durch zerstörte Straßen in Londons Bombennächten, sie rang mit ihm um den Kriegseintritt der USA, sie unterstützte die kriegsleidende Bevölkerung wie und wo sie nur konnte – sie war genau die richtige Frau am richtigen Ort – und natürlich hatte sie das Recht, private und berufliche Prioritäten für sich zu setzen.

Marie Benedict ist hier eine wunderbare Romanbiografie gelungen. Nie langatmig oder abschweifend werdend, bietet dieses Buch große Lesefreude, besonders für eine auch an Weltgeschichte interessierte Leserschaft.