Wie findet man zurück ins Leben, wenn alles verschwunden scheint?

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Manchmal reicht schon ein einziger Straßenzug in Kreuzberg, um ein Gefühl von Zuhause wachzurufen – genau so erging es mir mit diesem Buch. Saskia Luka fängt diese besondere Mischung aus urbanem Chaos und stillen Rückzugsorten so zart ein, dass ich mich sofort wieder zwischen Mehringdamm und Planufer wähnte. Und mittendrin Anna, deren kleines Pflanzenrefugium wie ein grünes Herz im Asphalt schlägt.
Ihr Leben ist ins Wanken geraten, seit ihre Freundin einfach verschwunden ist – ohne Nachricht, ohne Anker, ohne Erklärung. Während draußen das Kiezleben weiterflirrt, zieht Anna sich zurück in ihr Grün, in Töpfe und Triebe, in dieses sanfte Chaos aus Erde und Hoffnung. Es ist ein stilles, verletzliches Anfangskapitel, das wunderbar zeigt, wie man sich an die Dinge klammert, die noch nicht zerbrochen sind.
Was mich sofort berührt hat, war diese liebevolle Nachbarschaftsdynamik. Henning mit seinem Antiquariat – ein Mann, der alte Bücher behandelt, als wären sie scheue Tiere – bietet eine Wärme, die nicht künstlich wirkt, sondern wie echter Kiezalltag: Menschen, die sich nicht aufdrängen und doch da sind, wenn’s dunkel wird.
Und dann wirbelt Alex hinein, so spontan, lebendig und herrlich unberechenbar, dass Anna gar nicht anders kann, als ein kleines Stück aufzutauen. Die beiden brechen schließlich gemeinsam auf, um nach der verschwundenen Freundin zu suchen – eine Reise, die ich viel sanfter, überraschender und emotionaler fand, als ich es erwartet hätte. Kein Roadmovie, eher ein vorsichtiges Wieder-zum-Leben-Finden.
Was diesen Roman für mich so besonders macht, ist seine stille Kraft. Die Geschichte rauscht nicht, sie drängt nicht – sie tastet sich vorwärts. Manchmal langsam, fast zögerlich, aber immer poetisch, warm und mit einem Blick für die kleinen Momente, die man im echten Leben so oft übersieht. Wer Tempo und Drama sucht, landet hier vermutlich nicht im richtigen Regal. Wer aber Geschichten mag, die einen leise anschubsen, statt laut zu rütteln, wird sich wunderbar aufgehoben fühlen.
Für mich ist Lass uns noch bleiben ein Buch, das wie ein Nachmittag auf einem Kreuzberger Balkon wirkt: Ganz unspektakulär – und trotzdem bleibt etwas im Herzen hängen. Eine sanfte Geschichte über Verlust, neue Wege und darüber, wie ein einzelner Mensch reichen kann, um wieder Licht ins eigene Leben zu tragen.
Wärmste Leseempfehlung für alle, die ruhige, atmosphärische Romane lieben – und für alle, die Kreuzberg vermissen, ohne es zuzugeben.