Ärgerlich

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merkurina Avatar

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Das Hype-Buch der Saison (oder zumindest eins davon) hat mich fast ein bisschen verstört. Ich mag Erfolgsgeschichten, das ist es nicht. Auch junge Genies, wenn es sie denn gibt. Aber hier geht die Sache ziemlich nach hinten los.
Die weitgehend gepriesene Sprachbegabung des jungen Autors äußert sich absolut ornamental, viele Bilder, Vergleiche und Sprachgirlanden kommen um die Ecke - manche der Bilder sind völlig schief, das fällt aber ob ihrer überbordenden Fülle kaum auf, wird man doch gleich zum nächsten Beweis jungendlicher "Sprachkunst" gejagt. Dieser Stil erinnert mich an die Schreibstift mancher Pubertierender (vornehmlich Mädchen, okay...), mit Schnörkeln und dicken Punkten und Verzierungen, warum auch immer. Selbst wenn man am Anfang noch bereit ist, ein wenig fasziniert zu sein, das gibt sich mit der Zeit.
Bei mir jedenfalls, ich bekomme ja mit, dass auch das Feuilleton das weitgehend abfeiert.
Da schreibt ein 22jähriger so altertümlich, wie es nur geht. Auch inhaltlich ist dieser Roman unfassbar konservativ, voller mit wohlig schwelgender Sprache verkleideter Klischees über Männer und Frauen, arm und reich. Wichtig scheint außerdem zu sein, dass möglichst viele sexuelle Praktiken und Konstellationen aufgefahren werden.
Und so geht es durch die Jahrzehnte und Generationen, die verkünstelte Sprache bleibt die gleiche, ob es um privates Getändel oder um eine Leibesvistation der Nazis geht. Keiner Person kommt man richtig nah, alles wird nur dahererzählt als Material für die Sprachvergoldungen des Autors - dann geht es weiter zu den nächsten glitzernd-gruseligen Begebenheiten.
Kürzlich durfte ich auch via vorablesen Anna Maschiks Debüt "Wenn Du es heimlich machen willst, musst Du die Schafe töten" lesen, das ebenfalls mehrere Generationen in den Blick nimmt, ein großartiges Buch, das dafür eine Form findet, die Worte genau setzt, präzise ist und überlegt. Auch und gerade Anna Maschik arbeitet mit surrealen Brechungen - so wie Biedermann manche fantastische Skurillität einbaut. Doch die Art des Erzählens bei Biedermann hat etwas Überwältigendes, während Anna Maschik mit zarten Strichen arbeitet, die viel Raum lassen und doch viel zeigen.
Schreiben können ohne denken, ist dann vielleicht doch nichts. Eindrucksvoll bleibt der Marketing-Erfolg dieses Buches, dieses Verlags vielleicht auch. Und für mich etwas erschreckend, dass das Feuilleton sich weitgehend der Überwältigung unterordnet.