Ein Familienroman in klassischer Manier

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„Lázár“ von Nelio Biedermann ist ein Familienroman im klassischen Gewand – und wirkt zunächst wie eine Veröffentlichung, die nicht so recht ins Jahr 2025 passen will. Erzählt wird die Geschichte einer ungarischen Adelsfamilie im 20. Jahrhundert, deren Schicksal erkennbar auf den eigenen Vorfahren des Autors basiert. In rascher Folge werden zahlreiche Familienmitglieder als handelnde Figuren eingeführt. Ausgangspunkt ist das abgelegene Waldschloss der Familie, in dem seit Generationen nach den immer gleichen Regeln „regiert“ wird. Doch mit den Kindern, die im Verlauf des Romans die Geschicke nicht nur der Familie, sondern auch der Handlung übernehmen, beginnt das starre Gefüge zu wanken – befördert durch die historischen Zäsuren des Weltkriegs und seiner Folgen.
Dabei begnügt sich „Lázár“ nicht mit einer reinen Nacherzählung von Zeitgeschichte oder einer bloßen Familienbiografie. Immer wieder findet der Roman Raum, die inneren Konflikte seiner Figuren – Lajo, Eva und Pista – auszuloten: ihre Zweifel, Ängste, Sehnsüchte und Hoffnungen. So entsteht ein dichtes Bild einer Epoche, die in all ihren Umbrüchen, Wirrungen und Gegensätzen greifbar wird und zugleich die individuelle Entwicklung der Protagonisten mit einschließt.
Das hohe Tempo der Erzählung erweist sich als notwendiges Stilmittel, um diesem weiten Panorama gerecht zu werden. Es birgt zwar die Gefahr der Oberflächlichkeit, doch Biedermann versteht es, den Rhythmus zu halten: sein Roman ist schnell, lebendig, zuweilen verspielt, wechselt zwischen realistischen Schilderungen historischer Ereignisse und beinahe surrealen Momenten innerer Kämpfe.
Die Geschichte, die im abgeschiedenen Herrschaftsgebiet der Familie ihren Anfang nimmt, entfaltet sich als eine Reise durch die Biografie einer ganzen Epoche – und zugleich als intime Erzählung einzelner Schicksale.
Natürlich ist diese Art Familienroman nicht neu. Zahlreiche Werke haben bereits das Leben adeliger Familien im Kontext von Vorkrieg, Krieg und Nachkriegszeit behandelt – sowohl von Zeitzeugen als auch von zeitgenössischen Autoren. Nelio Biedermann erfindet dieses Genre nicht neu, sondern schreibt in einem klassischen, erwartbaren Stil. Dennoch bewegt er sich dabei auf hohem Niveau: „Lázár“ ist ein unterhaltsamer, mitreißender Roman, der souverän mit Figuren, Historie und Fiktion spielt.
Und doch wirkt das Werk eher wie ein Nachtrag – solide, aber nicht zwingend notwendig für unsere Gegenwart. Zwar lassen sich die Verlorenheit und Orientierungslosigkeit der Figuren mühelos auf heutige Menschen übertragen, dennoch wirkt der Roman insgesamt zu konventionell, um wirklich herauszustechen. Somit ist „Lázár“ ist eine empfehlenswerte Lektüre – ein komplexes, souveränes Familienepos über eine ungarische Adelsfamilie, das die Leser nicht enttäuschen wird, auch wenn es im Genre keine neuen Maßstäbe setzt.