Junger Schriftsteller, gute Schreibe, aber noch nicht der ganz große Wurf

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thirteentwoseven Avatar

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Das Buch "Lazar" von Nelio Biedermann wird hochgelobt und soll in mehr als 20 Ländern erscheinen. Auch ich muss den Hut ziehen vor der Schreibkunst dieses erst 22-jährigen, jungen Autoren.
Biedermann studiert Germanistik und Filmwissenschaft und das merkt man seinem Werk auch an. In den Roman fließen wie nebensächlich einige große literarische Werke wie z.B. die Nachtstücke von E.T.A. Hoffmann, die toten Seelen von Gogol oder Werke von Proust, Kafka oder Simone de Beauvoir ein.
Er schreibt sehr gewandt und passt den Erzählstil an die jeweilige Erzählepoche an. Sein besonderes Talent besteht aber darin, dass er das Schicksal Einzelner mit wenigen Sätzen mühelos und auf unterhaltsame und empathische Weise mit dem Weltgeschehen verknüpft. Das ist eine hohe Kunst.

Die Geschichte selbst kommt mir jedoch etwas gebrochen, unrein oder auch unwahr vor. Es handelt vom Leben der Familie von Lazar, die schließlich durch den 2. Weltkrieg alle ihre Besitztümer und Titel verliert und aus ihrer Heimat Ungarn in die Schweiz flieht. Doch auch in Zeiten, wo der Adel noch in seiner vollen Blüte steht, zeichnen sich vor allem die männlichen Mitglieder der Familie durch eine gewisse Degeneration und unheilvolle Kränklichkeit aus. Man fragt sich, sind Sandor von Lazar, seine Gemahlin Maria sowie ihr durchscheinend blasses "Glaskind" echte Gestalten oder auch nur Traumwesen, die den Nachtstücken von E.T.A. Hoffmann entsprungen sind. Es geht unheimlich zu im Waldschloss, skurril und derb. Es wird getrunken, gezecht und getrieben - im Bett und in den Wahnsinn.
Die folgenden Generationen wirken auch irgendwie unwirklich, realistätsfern und fragil als wären sie nicht aus Fleisch und Blut, sondern vom Schicksal getriebene Seifenblasen.
Der Drei-Generationen-Roman endet mit der Flucht der Nachkommen Pista und Eva in die Schweiz. Hier fällt die Klappe und der Roman ist zu Ende.

Es ist eigentlich alles da: der große welthistorische Rahmen, die Adelsfamilie mit ihren exzentrischen Charakteren, Aufstieg und Niedergang begleitet von großen literarischen Werken. Doch ich frage mich: Ist das eine Familiengeschichte oder ein Spuk? Ein unterhaltsames Fantasiestück? Ein traumhafter, traumatisch unterlegter Wahn? Das Ende ist offen. Und was bleibt in Erinnerung von dem Roman, wenn man eine gewissen Zeit hat verstreichen lassen?...

Für mich ist da zu wenig, was bleibt und Gehalt hat. Für die riesigen Vorschusslorbeeren, die dieser Roman bekommen hat, reicht es meines Erachtens nicht. Es ist gute Unterhaltung auf hohen Niveau, aber nicht mehr. Der Autor ist jung und begabt und hat großes Potenzial. Der ganz große Wurf kommt bestimmt noch - in einiger Zeit.