Große Bandbreite abgedeckter Themen rund um das Leben in der Dunkelheit

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alekto Avatar

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Dass das einleitende Zitat aus dem Kinderbuch "Licht aus, sagte der Fuchs" von Marsha Diane Arnold stammt, ist symptomatisch für die Passagen, von denen das an sich fundierte Sachbuch zur lebendigen Nacht über weite Strecken dominiert wird. Denn mit einem Schreibstil, der von poetischen Beschreibungen, Anleihen beim Märchen sowie aus der Fantasy- und Science-Fiction-Literatur geprägt ist, hat Sophia Kimmig meinen Geschmack leider nicht getroffen. Beispiele dafür sind ihre Ausführungen zu parallelen Welten und ihre Vergleiche aus der Comic-Welt.
Auch im Prolog schildert die Autorin auf fast schon mythisch zu nennende Weise das Leben an einer Bushaltestelle in der Nacht, das sie Dunkelwelt nennt. Prinzipiell finde ich die ungewöhnliche Kombination aus lyrischen Elementen mit wissenschaftlichen Fakten interessant. Das zeigen gelungene Umsetzungen etwa in den Tropen von Raoul Schrott, für die ich mich begeistern kann. Doch Sophia Kimmig fehlt dafür das literarische Talent. Ihre Stärke ist als promovierte Biologin ihr wissenschaftlicher Hintergrund. So hätte ich den Prolog als gelungen empfunden, wenn die Autorin auf poetische Anwandlungen verzichtet hätte, um stattdessen von ihrer Doktorarbeit über Füchse oder dem Forschungsprojekt, in dessen Rahmen sie sich mit nachtaktiven Tieren auseinandersetzt, zu berichten. Zudem hätte ich als einleitendes Zitat das einer berühmten Biologin, die damit von der Autorin vorgestellt worden wäre, als passender angesehen.

Auch im weiteren Verlauf des Buchs hätte ich mir gewünscht, dass die Stärken von Sophia Kimmig mehr zum Tragen gekommen wären. Denn die Abschnitte, in denen die Autorin ihr fundiertes Wissen zeigt, habe ich als weit überzeugender empfunden. So habe ich mir etwa im ersten Kapitel gern von ihr die lateinische Artbezeichnung, die sich aus Gattung und Art zusammensetzt, sowie die auf das Farbsehen spezialisierten Zapfen in der Netzhaut des Auges, die in zwei verschiedene Arten von Sehzellen zu unterscheiden sind, erklären lassen. Dabei sind ihre Erläuterungen, die durch exakte Quellenangaben belegt sind, verständlich formuliert.
Auf das oft recht umfangreiche Füllmaterial, das mit der Vermittlung dieses Wissens einhergeht, hätte ich aber verzichten können. Die Überleitung von einem zum nächsten Thema besteht meist aus einer Reihe von Fragen, die mich dazu anregen sollten, mir bestimmte Szenarien vorzustellen oder mich in entsprechende Situationen hineinzuversetzen. Das ist aber bei der anschaulichen Art und Weise, auf die das darauf folgende Wissen dargelegt wird, gar nicht nötig. Dem hätte ich auch ohne die einleitenden Fragen gut folgen können. Ebenso wenig hätte ich die wiederholt auftretenden Sätze gebraucht, in denen die Autorin betont, wie spannend das Fachgebiet der Biologie ist. Das sollte doch durch den Inhalt deutlich werden.
Statt die Themen mit solchen Sätzen zu beenden, die wohl verdeutlichen sollen, dass nun ein Exkurs abgeschlossen ist, wäre der Aufbau strukturierter ausgefallen, wenn die Autorin zur Gliederung des Fließtextes Infokästen oder Übersichten in tabellarischer Form eingebunden hätte. Ein Beispiel für eine solche Übersicht wäre die prozentuale Unterscheidung in tag- und nachtaktive Tierarten u.a. für Säugetiere, Vogelarten und Insekten. Infokästen hätten den zusätzlichen Vorteil mit sich gebracht, dass darin vermitteltes Wissen so übersichtlich aufbereitet worden wäre, dass diese sich zum späteren Nachlesen anbieten sowie zum Nachschlagen eignen würden.

Als sinnvolle Ergänzung hätte ich angesehen, wenn Sophia Kimmig weiterführende Literatur empfohlen hätte, sofern Themen etwa außerhalb des Fokus dieses Sachbuchs liegen. Dabei hätten mich beispielsweise Informationen zu den verschiedenen von der Autorin aufgelisteten Tagfaltern (u.a. Kohlweißling, kleiner und großer Fuchs, Bläuling, Aurorafalter, Schachbrett) interessiert. Auch ein Link, der auf die Rote Liste der bedrohten Tier- und Pflanzenarten der internationalen Weltnaturschutzunion IUCN verweist, wäre hilfreich gewesen.
Um trotz des vermittelten Wissens die Lesbarkeit in ihrem Buch zu wahren, kann ich nachvollziehen, dass Sophia Kimmig auf zu viel Fachvokabular und dessen Erläuterung verzichtet hat. An manchen Stellen hätte ich mir jedoch gewünscht, dass die Autorin, um diese Balance zu wahren, mehr mit Fußnoten gearbeitet hätte. So hätten etwa die Nachtfalter Eumorpha labruscae oder Citheronia regalis, aber auch Candela und Lumen als Einheiten zur Quantifizierung des Lichts näher erläutert werden können.
Die Vorstellung mir unbekannter nachtaktiver Tiere wie etwa des auf Neuguinea vorkommenden Tüpfelkuskus, des neuseeländischen Kakapos, des Blattschwanzgeckos oder des Taguans ist interessant gewesen. Dabei haben mir aber Bilder gefehlt. Mit dazu passenden Fotos, die die genannten Tiere abbilden, hätte ich deren Beschreibung als weit gelungener empfunden. Denn ich möchte während der Lektüre des Buchs nicht nebenher die erwähnten Tiere googeln müssen, um ein Bild von diesen vor Augen zu haben.
Was mir an Lebendige Nacht besonders gut gefallen hat, ist das wirklich spannende, unter Sachbüchern leider sonst so unterrepräsentierte Thema der nachtaktiven Tiere. Dabei wird das Leben in der Dunkelheit von Sophia Kimmig in einem breiten Spektrum behandelt. Die Bandbreite der nachtaktiven Tieren reicht von Tierarten, die ich erwartet habe, wie den Eulen, Fledermäusen und Waschbären, über Tiere, an die ich nicht unbedingt gedacht habe, wie die Haselmaus, den Sieben- und Gartenschläfer bis hin zu solchen, die mir zuvor nur dem Namen nach bekannt gewesen sind, wie den Bilchen und Nachtfaltern. Ergänzt wird das von weiteren Kapiteln, die rund um das Leben bei Nacht kreisen. Diese schließen etwa die Ursachen für die Nachtaktivität von Tieren, deren Ursprung in der Urzeit liegt, sowie einen faszinierenden Exkurs zu Tieren, die an Land, aber auch Unterwasser Licht ins Dunkel bringen, mit ein.