Freundschaft in schweren Zeiten

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Wenn von Mechtild Borrmann ein neuer Roman erscheint, greife ich immer sofort zu. Denn bisher bin ich noch nie enttäuscht worden, verbindet sie doch äußerst gekonnt zeitgeschichtliche Ereignisse mit dem Schicksal ihrer Protagonisten. Dafür hat sie schon zahlreiche Preise erhalten. Ihrem Schreiben geht auch immer eine intensive Recherchearbeit voraus, das lässt ihre Geschichten lebensecht und stimmig wirken.
Ihrem neuesten Roman „Lebensbande“ ist ein Zitat des amerikanischen Schriftstellers Ralph Waldo Emerson vorangestellt: „Der einzige Weg, einen Freund zu haben, ist der, selbst einer zu sein.“ Um die Freundschaft dreier Frauen in schweren Zeiten geht es im Buch.
Lene, eine junge Frau aus einem Dorf nahe der niederländischen Grenze, verliebt sich Anfang der 1930er Jahre in den Holländer Joop. Ihre Eltern sind strikt gegen diese Verbindung und tun alles, um sie zu unterbinden. Mehr oder weniger ungewollt schlittert Lene dann in eine Ehe mit einem gewalttätigen Mann. Bei der Geburt ihres ersten Kindes kommt es zu Komplikationen mit Folgen für den Sohn. Leo stottert und hat leichte Lernverzögerungen, nichts Schlimmes eigentlich. Doch in Nazi-Deutschland ist das Urteil „Schwachsinn“ schnell gefällt. Lene wird die elterliche Fürsorge entzogen und ihr Sohn kommt im Winter 1940 als „Reichsausschusskind“ in die Kinderabteilung der Heil - und Pflegeanstalt Bonn.
Hier arbeitet die Krankenschwester Nora, eine Cousine von Lene. Diese kümmert sich nun fürsorglich um Leo. Als dem Jungen die Verlegung in eine andere Einrichtung droht, die Schlimmes ahnen lässt, riskiert sie ihr Leben, um ihn zu retten.
Lieselotte, eine glühende Anhängerin der Nazi- Ideologie, begegnet Nora im Zug zu ihrem Arbeitseinsatz in Danzig. Trotz ihrer unterschiedlichen Weltanschauung freunden sich die beiden Frauen an. Diese Freundschaft ist ihr Halt in den folgenden Jahren. Denn kurz vor Kriegsende werden sie als Arbeitskräfte in den russischen Gulag verschleppt; wie 900.000 andere sind sie Teil der Reparationsleistungen, die Stalin zugesichert wurden. Sie ertragen unvorstellbaren Hunger, Kälte und erbarmungslosen Arbeitseinsatz. Als Adenauer sechs Jahre nach Kriegsende beginnt, die deutschen Kriegsgefangenen zurückzukaufen, bewährt sich die Freundschaft auf dramatische Weise.
Mechtild Borrmann entwickelt ihre Geschichte auf zwei Ebenen. Während man den Lebensweg von Lene von 1931 an verfolgen kann, setzt ein zweiter Erzählstrang im Herbst 1991 an.
In einem kleinen Ort an der Ostsee in der ehemaligen DDR wird eine ältere Witwe durch einen Brief an ihre lang verdrängte Vergangenheit und damit an ihre Lebenslüge erinnert. Schreibend versucht sie nun, ihre traumatischen Erlebnisse aufzuarbeiten.
Im Wechsel zwischen Gegenwart und Vergangenheit entfaltet sich hier deutsche Geschichte über sechs Jahrzehnte. Dabei werden die Zeitumstände am Schicksal der Figuren festgemacht. Es sind Erfahrungen, die viele Frauen in diesen Zeiten durchlitten haben, schmerzhafte, grausame, leidvolle. Aber auch solche, die von Liebe, Freundschaft, Mut und Fürsorge geprägt sind. Als Lesender fühlt man mit, ist ganz nah bei den Figuren, gerade weil die Autorin das alles ohne Pathos beschreibt.
Mechtild Borrmann gelingt es erneut, präzise und voller Empathie die Lebenswege verschiedener Charaktere in Zeiten von Terror und Krieg nachzuzeichnen, mit einer authentischen Geschichte, die berührt und fesselt.