Alles andere als leer

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
solie Avatar

Von

Juli Zeh ist für mich keine Unbekannte. Zwei Romane haben ich von der deutschen Autorin bereits gelesen, immer wieder habe ich mit weiteren geliebäugelt. "Spieltrieb" war abgründig und fesselnd zugleich. Der zweite Roman, "Nullzeit", hat meine Begeisterung jedoch gedämpft, ich konnte weder mit dem Thema noch der Geschichte etwas anfangen. Lange Zeit geriet die Autorin also in den Hintergrund meines Lesehorizonts - bis vorablesen.de sie mit der Leseprobe zu "Leere Herzen" wieder in meinen Fokus gerückt hat.

Nun bin ich ein kritischer Leser, habe allgemein schon vieles gelesen und war schlicht skeptisch, würde "Leere Herzen" wie "Spieltrieb" oder wie "Nullzeit" werden? Nach den (rasend schnell vorbeifliegenden) gut 350 Seiten kann ich nur sagen: Es war wie keines von beidem. Es übertraf alles.

Doch langsam, ich will keine dieser "Alles super"-Rezensionen schreiben, sondern dem Buch und der Autorin gerecht werden.

Auf den ersten Seiten zieht es sich ein bisschen. Die Leseprobe von vorablesen.de war schon länger her und ich erinnerte mich nicht mehr richtig daran. Wer sind Knut und Janina? Welche Tochter gehört zu wem? Ist Britta die Hauptfigur oder wird es wechseln? Ich empfand diese Unsicherheiten jedoch nicht als störend, sondern als den richtigen Antrieb, unbedingt weiterzulesen. Dieser Antrieb hält das ganze Buch über durch, peitscht regelrecht voran und sorgte letztlich dafür, dass ich das Buch in gut fünf Stunden in einem Rutsch durchgelesen habe.

Es war ein toller Sonntag. Nichts ist besser, als das Buch zuzuschlagen und zu lächeln, weil man rundum zufrieden ist, mit so einem Buch seine Zeit verbracht zu haben.

Relativ schnell klärt sich, wer Knut und Janina sind: Freunde der Hauptfigur Britta und ihres Ehemannes Richard. Vera ist Brittas Tochter. Doch das sind im Grunde Nebensächlichkeiten, die jedoch tragende Bedeutung für die gesamte Handlung haben. Eine derartige Bedeutung, die einem erst auf der letzten Seite und beim Nachdenken über das Gelesene klar wird. Nichts in "Leere Herzen" ist leer. Nichts ist zufällig. Und doch wirkt es nicht arrangiert oder konstruiert, sondern gänzlich natürlich, wie dahingeflossen.

Thematisch wagt Juli Zeh einen Sprung - nämlich einen Sprung in die Zukunft. Wir befinden uns in einem Deutschland im Jahr 20xx, auf jeden Fall jenseits der 2020. Es gibt eine regierende Bewegung, die ein Effizienzpaket nach dem anderen erlässt. Es gibt eine beinahe lethargische Bevölkerung, die stoisch alles hinnimmt, immerhin wurde diese Regierung ja durch demokratische Mittel gewählt. Und mittendrin befindet sich Britta mit ihrem Geschäftspartner und Freund Babak, die mit der "Brücke" eine etwas andere Art der heilpraktischen Praxis betreiben.

Das alles wirkt absurd und ist in seiner Absurdität der Realität doch unglaublich nah. In Zeiten, in denen Donald Trump Präsident der USA sein kann, kann auch passieren, was "Leere Herzen" beschreibt. Man gruselt sich davor und möchte die Augen verschließen, dabei hat der Roman - wenn man denn mal ein wenig interpretieren möchte - genau die gegenteilige Botschaft: Verschließe niemals die Augen. Sei aktiv. Nimm teil. Nimm Anteil. Und habe auf keinen Fall ein leeres Herz.

Juli Zehs Roman hat kein leeres Herz, denn er trifft genau dort, mitten hinein. Nicht auf eine romantische oder verklärte Art und Weise, sondern mit der knallharten Wahrheit, überspitzt und plakativ. In Zeiten wie den heutigen braucht es genau so etwas.