Anschlag auf die Politikverdrossenheit

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
lysch Avatar

Von

Vielfach ausgezeichnet für ihre spitzzüngigen Romane und bekannt für ihr politisch-gesellschaftliches Engagement, seziert Juli Zeh auch in ihrem neuen Roman mit messerscharfer Beobachtungsgabe und einer eindringlichen Sprache eine Gesellschaft, die durch Atomisierung und den Rückzug ins Private ihre Werte und den Glauben an eine bessere Zukunft verloren hat. Kam ihre Gesellschaftskritik in dem Vorgänger-Roman „Unterleuten“ noch gut verpackt daher, schlägt sie uns hier provokativ direkt ins Gesicht: „Da. So seid ihr.“ Als Widmung an den Anfang des Romans gesetzt, steht dieser literarische Faustschlag als Warnung vor einer düsteren Zukunftsvision, die bald Alltag sein könnte...

Deutschland im Jahr 2025. Die rechtsgerichtete Besorgte-Bürger-Bewegung ist an der Macht und schafft mit sogenannten Effizienzpaketen demokratische Errungenschaften immer weiter ab. Zugunsten einer Politik der Sicherheit werden Grundrechte und Freiheiten der Bürger verletzt und beschnitten. Diese interessieren sich jedoch nur bedingt für das politische Geschehen und leben in ihren Blasen aus Bequemlichkeit und Politikverdrossenheit. Schließlich haben sie akzeptiert, „dass Politik wie das Wetter ist: Sie findet statt, ganz egal, ob man zusieht oder nicht, und nur Idioten beschweren sich darüber.“ (S. 19) Die Protagonistin Britta Söldner erinnert sich noch an Zeiten, als das anders war. Aber mittlerweile hat auch sie sich in einem spießigen, ordentlichen und durchstrukturierten Mittelschichtsleben eingerichtet, zusammen mit ihrer Desillusionierung und ihrem Pragmatismus. Mit ihrem Geschäftspartner Babak hat sie eine kleine Firma namens „Die Brücke“ gegründet. Getarnt als „Psychotherapeutische Heilpraxis“ betreiben die beiden ein perfides und äußerst lukratives Geschäft mit dem Tod. Was genau die Kasse der Firma zum Klingen bringt, wissen weder ihre Familie, noch ihre Freunde und so führt Britta ein scheinbar entspanntes Doppelleben. Doch dann tritt ein bedrohliches Konkurrenz-Unternehmen auf den Plan und stellt ihre vermeintlich heile Welt komplett auf den Kopf...

Juli Zeh versteht es wieder einmal meisterhaft, hintersinnige Gedanken und raffinierte Denkanstöße zu einem bemerkenswerten Roman zu verdichten. Elegant zerpflückt sie die Selbsttäuschung der Gesellschaft, die sich ins Private flüchtet und das Wahlrecht für eine Waschmaschine opfern würde. Das schockierende Gedankenkonstrukt des Romans entfaltet sich dem Leser in bewusst dosierten Häppchen und zieht ihn damit immer weiter hinein in einen bedrückenden Sog aus Thrillerelementen und moralischen Erdbeben. Die Protagonisten des Romans erscheinen dabei nicht als Sympathieträger oder Helden, sondern bleiben ganz im Gegenteil über weite Strecken der Handlung unterkühlt und unnahbar. Aber ist Sympathie für Figuren, die aufrütteln und ein Schreckensszenario verdeutlichen sollen, überhaupt möglich und sinnvoll? Meiner Meinung nach würden dadurch die mutigen Denkanstöße an Radikalität verlieren, weswegen die distanzierte Figurenzeichnung in diesem Zusammenhang sehr stimmig erscheint.

Mit ihrem treffsicheren und eindringlichen Schreibstil und einem ungezwungenen Ausdruck erschafft Juli Zeh eine literarisch dichte Atmosphäre und überzeugt mit klugen und tiefgründigen Formulierungen: „Das ist die Natur, denkt Britta. [...] Solange die Sonne Energie schickt, wird geflattert, gerannt und gekrochen, begattet, gebrütet, gejagt und gekämpft.“ (S. 248) Jedes Wort sitzt und zeugt davon, mit wieviel Herzblut die Autorin sich für ihre Werte und Überzeugungen einsetzt. Mit großem Engagement liefert sie unbequeme Denkanstöße, die uns aus den Komfort-Zonen katapultieren sollen und die wir zu Ende denken müssen, wenn uns die Errungenschaften der Demokratie am Herzen liegen. Die Globalisierung lässt unsere Welt scheinbar zusammenrücken und dennoch zerfällt die Gesellschaft immer weiter in kleine Inseln der individualisierten Glückseligkeit. Welche Bedeutung haben Sinn und Moral in einer werteentleerten Welt, die den Glauben an eine bessere Zukunft verloren hat? Warum sind wir kein Teil der großen Bürgergemeinschaft mehr, „deren Aufgabe darin bestand, die Demokratie zu verteidigen, nicht am Hindukusch, sondern in Wohnzimmern, Großraumbüros und Kneipentischen“ (S. 275)? Wieso entziehen wir uns der gemeinsamen Verantwortung für die Weltgemeinschaft?

Juli Zeh ist meiner Meinung nach ein äußerst tiefsinniger, kluger und abgeklärter Roman gelungen, der einen regelrechten Anschlag auf die Politikverdrossenheit der Bevölkerung verübt und mit der „Was geht mich das alles an-Haltung“ hart ins Gericht geht. Wir leben nicht nur in einer Demokratie, sondern wir SIND die Demokratie und deren Zukunft geht uns alle etwas an. Um es mit den Worten Hannah Arendts, einer deutsch-amerikanischen Philosophin und Theoretikerin, auszudrücken: „Was den Menschen zu einem politischen Wesen macht, ist seine Fähigkeit zu handeln.“ Wir sollten uns daher das Ruder nicht aus der Hand nehmen lassen, denn

„Political questions are far too serious to be left to the politicians.” (Hannah Ahrendt)