Verstörende Vision einer nahen Zukunft

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sursulapitschi Avatar

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Dieses Buch kommt zunächst eher harmlos daher. Man befindet sich wage in einer nahen Zukunft.
Inzwischen ist es hipp, bescheiden und zurückgezogen zu leben, auch wenn man sich sehr viel mehr leisten könnte. Seit die BBB die Merkel-Regierung abgelöst hat, belächelt man müde das politische Geschehen, hält sich aber lieber aus allem heraus.

Brittas Familie geht es gut. „Die Brücke“, ihre Firma, läuft hervorragend. Sie betreibt zusammen mit Babak, einem Expatienten, eine psychologische Praxis für Selbstmordprävention. Das ist die Fassade. Tatsächlich untersuchen sie potentielle Selbstmörder auf ihren Durchführungswillen und vermitteln die ganz fest Entschlossenen als Selbstmordkandidaten an Organisationen, die mit solchen Menschen viel anfangen können. Eine Win-win-win-Situation. Seit Trump den Nahen Osten befriedet hat, gibt es keine unkontrollierten Selbstmordattentate mehr. Dann scheint sich aber plötzlich ein Konkurrenzunternehmen einzumischen. Was harmlos beginnt, wird albtraumhaft.

Mit feiner Ironie und gnadenloser Konsequenz spinnt Juli Zeh hier eine schräge Idee weiter bis man in einer Katastrophe landet. Die Geschichte macht Spaß und entsetzt gleichzeitig, steckt doch im manch lakonischem Seitenhieb erschreckend viel Wahrheit. Gedanken an die aktuelle Situation drängen sich auf. Sind wir wirklich so weit davon entfernt?
So genial dieses Buch ist, hätte ich mir doch manches davon ausführlicher gewünscht. Frau Zeh arbeitet mit dezenten Andeutungen, die man an vielen Stellen hätte vertiefen können. Aber auf jeden Fall bleibt man am Ende sehr nachdenklich und verstört zurück.

Großes Lob gebührt der Sprecherin des Hörbuchs. Sie trifft genau den lakonischen Ton, den dieses Buch braucht und schafft es sogar, Typen wie dem lebensmüden Djawad eine authentische Stimme zu verleihen.