Schöne Kleinstadt-Romanze mit leider ziemlich eindimensionalen Protagonisten

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henrike von buchstabensalat.net Avatar

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Als ich die Leseprobe gelesen habe, erwartete ich den gleichen 08/25-Einheitsbrei, der sich momentan in dem Genre breit macht. Bekommen habe ich eine Geschichte, die erst nach dem titelgebenden one night stand beginnt und sich mit den Konsequenzen auseinandersetzt, die eine solche Entscheidung in einer Kleinstadt eben nach sich zieht.
Die Handlung ergibt Sinn: Erschrecken beim ersten Wiedersehen im Job, Andeutungen und kleine Sticheleien, der Buschfunk einer Kleinstadt, verwirrte Freunde und Familie und vor allem natürlich tolle Chemie zwischen den Protagonisten.

Letztere sind mir jedoch leider etwas zu blass und leblos. Klar, wir erfahren, warum Austin mit seinen Geschwistern zusammenlebt und welche Träume er verfolgen will. Wir lernen auch, warum es Holly in den kalten Norden verschlagen hat, obwohl sie die Kälte gar nicht mag, und dass sie in Stresssituationen gern Möbel "restauriert" (mal ehrlich, ein bisschen schmirgeln und neu lackieren ist nicht wirklich restaurieren, oder?). Ansonsten wissen wir aber gar nichts über die Menschen, die im Fokus der Geschichte stehen. Das finde ich ziemlich schade, weil das dafür sorgt, dass es etwas schwierig ist, ihre Entscheidungen nachzuvollziehen oder sich gar in sie hineinzuversetzen. Die Nebenfiguren, die die Romanze zwischen Holly und Austin eigentlich nur einrahmen sollten, finde ich persönlich fast interessanter. Es ist leicht zu durchschauen, dass dieses Buch der Auftakt einer Reihe werden soll, in der pro Buch ein Mitglied der Bailey-Familie sein passendes Puzzlestück findet. Das ist per se nicht schlecht, aber es lenkt von der eigentlichen Romanhandlung ab, wenn all die Figuren eingeführt werden, auf die wir uns eigentlich erst drei, vier Bücher später konzentrieren wollen. So wirkt "Lessons from a one night stand" eher wie eine Einleitung zu einer viel zu langen Familienstory und nicht wie eine stand-alone Liebesgeschichte, die sie ja eigentlich ist.

Es gibt eine gute Portion Erotik, da die beiden Protagonisten eben, wie zu erwarten war, nicht wirklich die Finger voneinander lassen können, und es werden auch ordentlich Klischees bedient - hier werde ich keine Beispiele nennen, um Spoiler zu vermeiden.

Gut gefallen hat mir das Setting in einer Kleinstadt, in der jeder jeden kennt und die Gerüchteküche brodelt. Mich hat das Ganze etwas an Stars Hollow aus der TV-Serie Gilmore Girls erinnert. Das Online-Klatschmagazin, das so einige Probleme verursacht, erinnerte dagegen an ein Äquivalent aus Gossip Girl (die Serie habe ich schnell abgebrochen, daher kann ich dazu nicht allzu viel sagen, aber positiv habe ich das nicht unbedingt in Erinnerung), mit dem Unterschied, dass die Meldungen wie bei Snapchat nach 24 Stunden wieder verschwinden. Das ist zwar ein interessanter Aspekt, den ich so noch nirgends gelesen habe, wirkte aber irgendwie fehl am Platz in dieser alteingesessenen Gemeinschaft und der etwas altmodisch angehauchten Kleinstadt. Es hätte eher in eine moderne Stadt, die niemals schläft, gepasst als an einen Ort, der jedes Jahr zu Ehren einer einzigen Familie ein ganzes Stadtfest veranstaltet, inklusive Wagenkolonne und Sahnetorten-Werfen...

Toll fand ich auch, dass die Geschichte aus beiden Perspektiven, der von Holly und der von Austin, erzählt wurde. So wissen wir Leser:innen direkt, wenn es Missverständnisse gibt oder jemand etwas verheimlicht, aber kennen auch die Beweggründe und Emotionen der Figuren. Manchmal wollte ich die beiden Bud-Spencer-mäßig mit den Schädeln aneinander krachen lassen, weil sie so strohdoof waren, aber das ist kein einzelnes Phänomen, sondern das erlebe ich bei vielen Liebesromanen. :)

Insgesamt habe ich mir sehr gut unterhalten gefühlt, während ich das Buch auf zwei relativ kurzen Zugfahrten komplett verschlungen habe. Insgesamt habe ich vielleicht viereinhalb Stunden gelesen. Das erwähne ich aus folgendem Grund: je schneller ich ein Buch lese, desto besser gefällt es mir - mir werden beim Lesen keine Steine, sprachlicher oder inhaltlicher Natur, in den Weg gelegt. Es gab natürlich ein paar Punkte, die ich überflüssig oder störend empfand, aber das einzige, was mir wirklich negativ auffiel, war die Oberflächlichkeit der Hauptcharaktere. Ich hoffe, dass die Folgebände hier etwas mehr in die Tiefe gehen und bin gespannt, wie sich die Familienmitglieder der Baileys in Gefühle und Romantik verstricken werden.