Ungleichgewicht bei den Perspektiven

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Ich habe mich von „Let’s be Wild“ von Nicole Böhm und Anabelle Stehl sehr unterhalten gefühlt, weil es die Vibes von „The Bold Type“, der Serie, sehr gut eingefangen hat und weil auch viele wichtige Themen angesprochen wurde. Vielleicht wirkt diese Freundesgruppe etwas idealisiert, weil so viel Verständnis untereinander herrscht, während wir wahrscheinlich alle schon oft genug Zurückweisung erlebt haben, aber für mich steht über allen Dingen das Bemühen aufzurütteln und etwas zu erzählen, was hängen bleibt. Auch wenn mit gleich vier Perspektiven definitiv genug Geschichten noch im Köcher gewesen sind, ich finde es sinnig, dass s gesteuert mit zwei Bänden geendet ist, weil das für einen klaren Plan des Autorinnenduos spricht.

Während ich in Teil 1 noch etwas Probleme hatte, mich in die einzelnen Perspektiven einzufinden, ist das in „Let’s Be Bold“ wahrlich kein Kriterium mehr. Auch die Veröffentlichung zwischen den beiden Bänden lag nicht weit auseinander, aber auch so glaube ich, dass die vier unterschiedlichen Charakterköpfe im Kopf geblieben sind, weswegen man in ihr jeweiliges Leben schnell wieder reinfinden konnte. So gelungen das also ist, so sind mir dafür auch neue Schwächen aufgefallen. Leider. Im ersten Band habe ich nicht hinterfragt, ob die vier Perspektiven wirklich gleichmäßig verteilt waren, es fühlte sich einfach so an. Deswegen habe ich mich auch so schwer getan, einen Liebling zu benennen, weil sie alle gleichberechtigt in den Fokus genommen wurden, so dass ich von allen etwas mitnehmen konnte. Diesmal ist mir aber eine Gewichtung doch deutlicher ins Auge gefallen. Der Star dieses Bandes war ohne Frage Tyler, er war sehr dominant in diesem zweiten Band. Zum Glück nicht unangenehm und ohne Frage war er auch mit einer wichtigen Geschichte verbunden, aber es war auffällig. Nach ihrem Umzug ist Ariana beispielsweise völlig untergetaucht. Beruflich ist sie gar nicht mehr ausgearbeitet worden, letztlich wurde noch der Konflikt rund um ihre Familie geklärt, was auch wichtig war, aber selbst ihre Liebesgeschichte mit Layla war eher völlig nebensächlich.

Shae war nach Tyler sicherlich die Figur, die noch am meisten ausgearbeitet wurde, aber auch hier war ich etwas überrascht, wie sehr sich der Fokus verschoben hat. Auch wenn ich sie und Cam als Paar wirklich feiere, waren ihre Probleme im Bett etwas überraschend. Dazu dann das Drama mit Emily, was auch wichtig war, was aber noch einen großen neuen Fokus auf ihre Familie richtet, und schwupps kam auch hier das Berufliche sehr kurz. Da Shae mit dem Magazin eine neue wichtige Aufgabe zugeteilt bekommen hat, hätte ich mir eigentlich mehr gewünscht, dass es wie im ersten Band gelingt, wichtige Themen mit dem Job zu verknüpfen und so auch für Öffentlichkeit relevanter zu machen. Insgesamt trifft es wohl das Zwischenfazit sehr gut, dass die Agentur kaum noch eine wichtige Rolle im zweiten Band dargestellt hat, es ging mehr um das Privatleben. Das macht den zweiten Band nicht schlecht zum Lesen, das wäre auch völlig übertrieben, aber wenn man den ersten Band im Hinterkopf hat und unweigerlich Erwartungen entstanden sind, dann denkt man über diese Mängel nach und das nimmt dem Leseprozess automatisch etwas Unbeschwertes. Auch bei Evie kann man das nochmal sehen, die sich auf Platz 3 der Berücksichtigung befindet. Wir haben noch da tolle Shooting im Tanzstudio, aber dann ist auch der Job bei Evie unwichtig. Auch die Familie spielt groß keine Rolle mehr, Marian erleben wir über Tyler, stattdessen haben wir mit Casey eine neue Figur, die zwar sehr sympathisch ist und die perfekt ist, um Evies Sorgen auf den Grund zu gehen, aber auch hier kam alles anders als erhofft.

Abschließend will ich noch was zu den Themen und allgemeinen Eindrücken sagen. Zunächst bleibt einfach der Zusammenhalt wichtig. Ich fand es auch gut, dass so eher absurde Szenen wie mit der Grillzange eingebaut wurden, denn da hatte ich „The Bold Type“ sofort vor Augen. Das waren immer herrliche Momente und die haben auch dieser Buchreihe gut getan, weil sie das Verhältnis untereinander betont haben. Es war wirklich eine tolle Freundesgruppe, die sich immer weiter ausgedehnt hat und überall wirklich tolle Charaktere, die man gerne auch im echten Leben kennenlernen würde. Bei den Themen gibt es auch eine breite Streuung und ich fand vor allem Tyler, der als Mann mit den Nachwirkungen von sexueller Belästigung zu kämpfen hat und Evie, die noch mit fast 30 als Jungfrau gegen Vorurteile ankämpft, sehr gut rausgearbeitet, auch weil wir es zu selten in der Literatur lesen. Das hat mir wieder gezeigt, dass Böhm und Stehl sich ein klares Ziel gesetzt hat, eben dorthin zu gehen, wovor andere sich scheuen, und damit etwas auszusenden. Das ist 1000% bei mir angekommen!

Fazit: Ich habe die vierköpfige Freundesgruppe, die von Nicole Böhm und Anabelle Stehl geschaffen wurde, wirklich sehr genossen und habe mich auch erneut an den Themen und dem Zusammenhalt begeistern lassen können. Dennoch sind die Erwartungen diesmal ein Problem, denn zum einen waren die Perspektiven nicht mehr gleich verteilt und zum anderen ist der Fokus ganz anders als noch in Band 1 gelegt worden, Stichwort Agentur, das hat mich doch manchmal mehr irritiert, als ich eigentlich wollte. Gut, aber es hätte noch viel besser sein können.