Fluchtpunkt Paris

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milena Avatar

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Zitat der New Yorker: "Dieser Roman ist genauso verrückt wie seine Protagonisten". Zutreffender kann man den Roman von Patrick de Witt kaum charakterisieren. Frances und Malcom sind kein herkömmliches Mutter-Sohn-Duo. Erst nach dem Tod ihres Mannes holt Frances Malcom aus dem Internat. Bis dato hatte sie kaum gekümmert und um so erstaunlicher, dass Malcom ihr dies offensichtlich absolut versöhnlich nachsieht. Frances ist eine Exzentrikerin, die trotz ihrer 65 Jahre über höchst manipulative Fähigkeiten verfügt und von der unbegreiflichen Annahme ausgeht, dass ihr nur das Beste und Teuerste zusteht und niemand auch nur einen Hauch an Kritik an ihrer Lebensführung anzubringen wagen sollte. Nach dem Tod ihres Mannes fährt sie erst mal in ein Skiwochenende, weil sie es nicht als ihre Pflicht ansieht, die Behörden über dessen Tod zu informieren. Dieses Verhalten bringt ihr den endgültigen Durchbruch im Tratsch der New Yorker Society. Malcom, auch schon über 30, ist nicht weniger gestört. Er und seine Mutter geben plan- und ziellos das Vermögen des Vaters mit beiden Händen aus und setzen sich über alle gesellschaftlichen Zwänge und Konventionen hinweg. Er stiehlt auf Empfängen Wertsachen der Gastgeber, allein aus dem Grund, dass er es kann. Damit steht er seiner Mutter in nichts nach. Frances schenkt einem Taxifahrer einfach so eine Rolex. Das Verhältnis zu seiner Verlobten Susan ist denkwürdig. Sie ist fasziniert von seiner Nonkonformität, nimmt aber seine eigentliche Lebensuntüchtigkeit nicht entsprechend wahr. Der Wendepunkt im Leben von Mutter und Sohn wird erreicht, als sie nach einigen Jahren der Verschwendung tatsächlich pleite sind. Sie ergreifen das Angebot einer Freundin in deren Wohnung in Paris unterzukommen. Der Kater Kleiner Frank, der eine Inkarnation des verstorbenen Gatten darstellen soll, kommt mit auf die Seereise und wird die Geschicke noch entsprechend leiten. De Witt führt noch weitere skurrile Gestalten ein, wie zum Beispiel den Schiffsarzt, der hinter die Kulissen einer Kreuzfahrt blicken lässt: "Eine Leiche pro Tag. Das ist der Branchenstandard für eine Atlantiküberfahrt. Ich habe eine Theorie, dass sie aufs Meer wollen, weil sie unterbewusst wissen, dass sie sterben werden." (S. 106)
Mir hat das Buch gut gefallen, trotz der Tatsache, dass es nahezu unmöglich ist, einen der Protagonisten auch nur halbwegs sympathisch zu finden, oder vielleicht gerade deswegen. Es ist sicher kein Buch, das man zweimal liest, dazu ist es zu sehr auf den Witz der jeweiligen Situation abgestimmt. Allerdings hätte es ein originelleres Cover als diese etwas altbackene Aquarellzeichnung verdient.