„Geheimnisse sind psychisches Gift“

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1985 passiert ein Unglück. Theo fährt mit dem elterlichen Auto, obwohl er noch keinen Führerschein besitzt. Seine Schwester Sarah sitzt neben ihm, zudem ist Misty, eine Klassenkameradin Theos, mit dabei. Theo verursacht einen Unfall Misty stirbt, Sarah erklärt, sie sei gefahren. Damit ist der Beginn des Romans wiedergegeben und die Grundlage für die Geschichte gelegt.

In der Folge des Unfalls wird eine Familie auf Jahrzehnte faktisch zerstört. Viele Leser:innen und viele Autor:innen hätten sicherlich den Fokus auf die Familie des Opfers gelegt. Shapiro macht es anderes. Es ist die Familie von Theo und Sarah, die zerstört wird. Es ist ihre Familie, um die es im Buch Leuchtfeuer geht.
Der Lesende erlebt, welchen Einfluss der Unfall auf das Leben der einzelnen Familienmitglieder hat. Neben den Teenagern besteht die Familie Wilf noch aus den Eltern, Ben und Mimi.

Das Buch thematisiert weniger den Unfall an sich sondern vielmehr den Umgang damit. Diesen gibt es in der Familie Wilf nämlich gar nicht. Das Thema ist direkt ein Tabu und man weigert sich schlichtweg, das Geschehene zu reflektieren und gemeinsam zu besprechen. Jedes der Familienmitglieder ist auf sich alleine gestellt.

Die Autorin erzählt die Geschichte der Familie über den Zeitraum von 1985 bis 2020. Die Handlung wird dabei weder chronologisch noch linear wiedergegeben.
Die jeweiligen Abschnitte spielen zu verschiedenen Zeiten.
Nach und nach betrachtet die Autorin jedes Familienmitglied und erzählt dessen Geschichte.

Durch diese Vorgehensweise werden Zusammenhänge und Wechselwirkungen innerhalb der Geschichte bzw. zwischen den einzelnen Charakteren und erst nach und nach klar, und zeigen sich in ihrer Gesamtheit erst zum Ende des Buches. Insofern ist das Buch mit einem Puzzle zu vergleiche, bei welchem man zwar auch schon ahnt, wie das fertige Bild aussehen wird – dieses gleichwohl erst mit Legen des letzten Puzzle-Teiles vor sich sieht.

Shapiro hat dies meisterlich umgesetzt. Die Charaktere sind sehr gut gezeichnet, das gilt für alle Mitglieder der Familie Wilf und vor allem auch für die der benachbarten Familie Shenkman. Deren Mitglieder sind nicht einfach nur mit in den Plot aufgenommen, sondern spielen eine besondere Rolle für einige Mitglieder der Wilf-Familie. Insbesondere die Beziehung zwischen Waldo Shenkman und Ben ist anrührend schön.

Das Buch handelt von Folgen eines jahrzehntelangen Schweigens, von Versöhnung, Freundschaft, Erziehung und von allen anderen Problemen, mit denen jede Familie mehr oder weniger konfrontiert wird, ob mit oder ohne folgenschweren Unfall.

Immer wieder wird seitens der Autorin der Zauberbaum erwähnt, der Baum, der ebenfalls in den Unfall verwickelt war. „Die große majestätische Eiche, die immer schon da war und noch lange da sein wird, mit ihren unsichtbaren Wurzeln, die sich tief unter dem Bürgersteig ausbreiten.“

Das Buch wird sicherlich große Beachtung finden wird. Es spricht einen breiten Kreis von lesenden an. Der Plot ist intelligent und spannend, die Charaktere stark, die Sprache sehr gut. Zudem träge auch der Aufbau der einzelnen Abschnitte dazu bei, dass es viel mehr ist als ein durchschnittliches Buch. Ein sehr starkes Erstlingswerk der Autorin!

Cover und Titel sind für mich in Bezug auf den Inhalt des Buches unpassend, was aber eine Randnotiz ist.