Hat mir nichts gegeben

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fraedherike Avatar

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„Es sieht aus, als wäre das Meer mit Abertausenden flimmernden Sternen gefüllt. Vielleicht ist jeder einzelne das, was von jeder Seele bleibt, die je gelebt hat; vielleicht ist Zeit kein Kontinuum, sondern Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft entfalten sich immer und ewig.“ (S. 282)

Mit jeder Entscheidung verändern sich die Schleifen unseres Lebens - und unserer Zukunft; jeden Tag schreiben wir den Verlauf unsere Geschichte von Neuem, nur das, was hinter uns liegt, kann nicht mehr ungeschehen gemacht werden.

Niemals wird Theo Wilf das Geräusch zerberstenden Metalls vergessen, den Schrei des Mädchens; das letzte Mal, das ihre Stimme in der Welt der Lebenden zu hören ist. Mehr als zwanzig Jahre ist es her, dass das Auto, in dem er mit seiner Schwester Sarah und dem Mädchen saß, gegen einen Baum prallte, und das Leben seiner Familie für immer verändern würde. Während Theo sich schon immer im Schatten seiner Schwester aufhielt und wohlfühlte, war Sarah in allem, was sie machte, ein Goldkind: selbstbewusst, talentiert, die Welt stand ihr offen. Doch unter der Last des Geheimnisses, das sie seit der Nacht des Unfalls im Jahr 1985 trägt, verliert sie ihr Strahlen; niemand ahnt, dass sie stets nur wenige Schritte vom Abgrund entfernt ist. Sie hält die Fassade aufrecht, betäubt ihre Gefühle mit Alkohol, verliert sich in der Wärme flüchtiger Küsse, fremder Hände an ihrem Gesicht. Theo hingegen war fortgegangen, um zu vergessen, füllt die Leere in seiner Brust mit Arbeit, etwa dem Kreieren neuer Gerichte. Sein Restaurant „Twelve Tables“ ist schon längst kein Geheimtipp mehr, jede Nacht sind alle Tische restlos belegt. Aber weder das Knistern britzelnden Öls noch das Zischen der Kaffeemaschine können das Gesehene und Gehörte in der Tonspur seines Lebens überschreiben; er entkommt ihm nicht. Ein unerwarteter Anruf seiner Schwester lässt ihn jäh aus der Zeit fallen, und bringt ihn zurück an den Ort seiner Kindheit. Den Ort, an dem die Geister warten.

„Änderst du ein Element, ändert sich alles. Eine Erschütterung hier verursacht ein Erdbeben dort. Eine Bruchlinie vertieft sich. Ein Schalter wird umgelegt.“ (S. 9)

Als ich noch klein war, liebte ich es, nachts in den Sternenhimmel zu gucken, mich in den leuchtenden Flecken zu verlieren; ungreifbar, ihre Entfernung, und das machte mir Angst. Wir, kleine Staubkörner in der Galaxie, suchend, umeinander kreisend und doch in unseren eigenen, kleinen Universen gefangen. Und so auch die Protagonist:innen in Dani Shapiros Roman „Leuchtfeuer“: Über die Jahrzehnte verstreut berühren ihre Leben einander flüchtig, ihre Bahnen kreuzen sich und aus jeder Begegnung gehen sie als Andere hervor. Empathisch zeichnet Shapiro polyphon die Wege nach, die hinter ihnen liegen, und wie sie sich im Laufe der Zeit verändert haben, die Last der Sommernacht und die Bürde der Familie auf dem Herzen tragend. Die Vergegenwärtigung der Flüchtigkeit des Lebens durch jede noch so kleine, alltägliche Entscheidung und die Tragweite und emotionale Schwere von Erinnerung haben mich ein ums andere Mal über mein bisheriges Leben reflektieren lassen, über die Dinge, für die ich dankbar bin, die ich bereue; sie alle sind Teil meines Lebens und Teil meiner Geschichte.
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So mitreißend die Geschichte begonnen hat, hat sie mich ehrlicherweise schon nach kurzer Zeit verloren. Ich konnte keine:n der Protagonist:innen wirklich greifen, sie waren zu kantig, teilweise überladen bis abstrakt, der Ton pathetisch, der Verlauf vorhersehbar. Vielleicht war der Zeitpunkt für diese Geschichte nicht der richtige, aber dennoch habe ich einige wertvolle Gedanken mitnehmen können.