Ein Buch mit Licht und Schatten

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Oxford 1996: Im Zentrum steht Ellis, 45 Jahre alt. Er arbeitet freudlos in einer Fabrik, seine Tage sind gleichförmig. Vor fünf Jahren hat er seine Frau Annie durch einen tragischen Autounfall verloren, ein Verlust, der noch immer an ihm nagt und ihm die Lebensfreude nimmt. In seiner selbst gewählten Einsamkeit blickt er auf wichtige Stationen seines Lebens zurück, das vollkommen anders verlaufen ist, als er es erwartet hat.

Ein Fahrradsturz mit längerer Arbeitsunfähigkeit gibt ihm die Chance, sich noch einmal neu auszurichten. Der Leser darf Ellis´ Rückblicken folgen und spürt schnell, dass er nicht nur einmal vom Schicksal gebeutelt wurde: Seine Mutter starb bereits, als er zwölf Jahre alt war. Der Vater hatte nicht nur schnell eine neue Partnerin, sondern bestimmte auch ziemlich drakonisch, welchen Berufsweg der Junge einzuschlagen hatte. Zum Glück hatte Ellis in dieser Zeit seinen besten Freund Michael, mit dem ihn über Jahre eine intensive Beziehung verbindet. Mit Anfang Zwanzig lernt Ellis seine künftige Frau Annie kennen, die Liebe trifft ihn wie ein Blitz. Das entzweit die Freunde zunächst kaum sichtbar. Michael wäre um ein Haar sogar mit in die Flitterwochen gefahren…

Sarah Winman erzählt Ellis´ Geschichte in verschiedenen Abschnitten, zwischendurch kommt sie immer wieder in die Gegenwartsebene zurück. Man kann sich gut in den einsamen mutterlosen Jungen hineinversetzen. Auch die Phase der neuen Liebe zu Annie wird emotional mit ständigen Bezügen zur Musik der 70er und 80er Jahre geschildert. Michael ist derjenige, der immer wieder aus der Dreier-Konstellation abtaucht und offenbar seine Freiheit braucht. Welche konkreten Beweggründe er dafür hat, erfährt man erst gegen Ende.

So richtig gepackt hat mich die Geschichte leider nicht. Das liegt einerseits an der Sprache, die oft ins Sentimentale, Gefühlige, Konventionelle abdriftet. Viele Dialoge wirken auf mich hölzern und gestellt. Auch die Charaktere bleiben überwiegend blass. Jede Figur spielt ihre Rolle, manche auch nah am Klischee - ich habe Schattierungen vermisst. Auf der anderen Seite gelingt es Winman, verschiedene Szenen mit Poesie so zu auszustatten, dass man regelrecht in den Text eintauchen kann. Sehr gut kann sich die Autorin in die Gefühlswelt der beiden männlichen Teenager hineinversetzen. Eine Reise nach Südfrankreich sehe ich diesbezüglich nicht nur als literarischen Höhepunkt des Romans. Die Reise wird uns aus Michaels Perspektive erzählt, nachdem Ellis´ dessen Notizbücher gefunden hat. In diesem Abschnitt gibt es wunderbare Naturbeschreibungen, die die Handlung begleiten. Die Gefühle Michaels werden greifbar, man versteht auf einmal sein unstetes Verhalten, kann sich in die beiden Urlauber einfühlen.

Ich bin sicher, dass dieser Roman begeisterte Leser/innen finden wird. Auch wenn das Buch viele traurige Momente bereithält, besticht es durch seine außergewöhnlichen Liebesgeschichten, die sehr selbstverständlich, glaubwürdig und ohne jegliche Stigmatisierung erzählt werden. Der Bezug zur Kunst ist jedoch nur rudimentär vorhanden. Die Sonnenblumen Vincent van Goghs bilden quasi den Rahmen, mit denen der Roman (etwas konstruiert) beginnt und endet. Ich bin mit diesem Buch leider nicht durchgängig warm geworden, auch wenn es mich in seinem Verlauf immer wieder überraschen konnte. Es passt einfach nicht in meine Lesewelt. Ich liebe es etwas komplexer, ja, auch etwas anspruchsvoller. Deshalb von mir nur eine eingeschränkte Leseempfehlung. Wer aber gerne Liebes- und Schicksalsromane liest, kann hier uneingeschränkt zugreifen und wird höchstwahrscheinlich nicht enttäuscht werden.

Die Übersetzung stammt von Elina Baumbach. Man beachte, dass es im ersten Absatz des Romans nicht um Carol Judd geht, sondern um Dora Judd. Damit erspart man sich Irritationen.