Großes literarisches Kino!

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»›Bedenken Sie, was ich Ihnen bieten kann‹, unterbrach der Minister, ›zum Beispiel KZ. Jederzeit. Kein Problem. Aber das meine ich ja gar nicht. Ich meine, bedenken Sie, was ich Ihnen ✨auch✨ bieten kann, nämlich: alles, was Sie wollen. Jedes Budget, jeden Schauspieler. Jeden Film, den Sie machen wollen, können Sie machen.‹«

Regisseur G. W. Pabst wird schon zu Stummfilmzeiten für seine sozialkritischen Werke wie »Die Dreigroschenoper« oder »Die freudlose Gasse« gefeiert. Der Erfolg führt ihn nach Amerika – wo er krachend scheitert. Zurück im vom Krieg bedrohten Europa, versucht er künstlerisch wieder Fuß zu fassen und findet sich dann, infolge (un)glücklicher Umstände, im Büro von Propagandaminister Goebbels wieder. Hier soll der »Goldjunge«, für seine politische Einstellung einst als »Roter Pabst« bezeichnet, wieder in die Spur gebracht werden und fortan Filmprojekte im Auftrag des Reichs produzieren. Eine wirkliche Wahl scheint er nicht zu haben – und die Aussichten sind eigentlich nicht so schlecht, oder? Hier beginnt nun seine kognitive Dissonanz, die nach anfänglicher Scheu seine Realität immer weiter verschiebt und Moral zur Auslegungssache macht …

Daniel Kehlmanns filmisch-literarisches Kammerspiel, das so treffend nur »Lichtspiel« heißt, gliedert sich in drei Teile: »Draußen«, »Drinnen« und »Danach«, oder: vor dem Regime, im Regime und nach dem Regime. Ummantelt werden diese von einer Szene, die in einer unbestimmten Zukunft zwischen Altersheim und Fernsehstudio spielt, und die mich so sehr gefesselt hat, dass ich beim ersten Lesen Gänsehaut hatte und nach Beenden des Buches – mit dem Wissen, um das Geschehen – alles noch einmal erleben musste, bevor ich guten Gewissens die Buchdeckel zuklappen konnte. Auch mit Gänsehaut. Und einem Gefühl von Ekel. Beeindruckend war für mich dabei vor allem, was Kehlmann allein durch die Leerstellen in seinem Text auszudrücken vermag. Das Unsagbare ist stets anwesend, auch, wenn (oder weil) es nicht direkt angesprochen wird.

»Lichtspiel« ist großes literarisches Kino, ein Werk über moralisches Versagen, aber auch eine Parabel über die künstlerische Arbeit innerhalb eines totalitären Regimes. Große Leseempfehlung!