mehr als ein historischer roman

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blätterwald Avatar

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Dieser neue Roman von Daniel Kehlmann macht es mir nicht leicht. Gut geschrieben und dennoch fehlt was. Der Einstieg ist grandios, auch wenn ich kurz gebraucht habe, um mich im Set einzufinden. Und hier finden wir auch eine der wenigen fiktionalen Figuren, Wilzek, in diesem doch sehr authentischen Roman. Man findet viele Persönlichkeiten der damaligen Zeit wieder und da ist nichts fiktional, sondern Zeitgeschichte, die der Autor literarisch aufarbeitet.
Wilzek bildet auch den Rahmen und ist eigentlich eine sehr zentrale Figur in diesem Roman, der aber auch wieder wenig Raum gegeben wird. Und dennoch ist er eine Figur, die man nicht unterschätzen sollte und die sowas wie ein tragischer Held ist. Ist er das schlechte Gewissen, eine moralische Instanz letzten Endes? Ist sein Handeln am Ende der Trostpreis für die doch blasse Hauptfigur dieses Romans?
Der Regisseur Pabst, einst hochgelobt und doch vergessen. Andere Namen wie Murnau blieben stärker im kollektiven Gedächtnis. Sehr gelungen finde ich, wie doch der Weg von Pabst beleuchtet wird. Allerdings, und das ist der große Schwachpunkt, bleibt der Protagonist schwammig, kaum greifbar und oft nur passiv dargestellt, als ob ihm alles nur passiert. Warum kam er zurück in ein Land, in welchem er nicht sorgenfrei leben wird können, anders als in den Staaten. Liegt es nur am Misserfolg des einzigen Films, den er in Hollywood gedreht hat? Ist es nur die Sorge um seine Mutter? Was denkt, was fühlt der eigentliche Held des Romans? Wir wissen es nicht wirklich.
Die vielen Perspektiven fordern den Leser, sind aber Höhepunkte dieses Romans. Auch wenn oft gewechselt wird vom personalen zum auktionalen Erzähler. Mit mal ist man beim Reichspropagandaminister, auch wenn dessen Name nie fällt. Dann wiederum haben wir Leni Riefenstahl im Set, mit der wahrlich nicht nett umgegangen wird. Und gleichzeitig werden den Komparsen Chancen gegeben, ans Licht zu treten. Hier liegt wiederum auch die Stärke des Romans. Es wird gezeigt, nicht erklärt oder gerechtfertigt. Das eigentliche Grauen dahinter kommt aus den Zeilen schon so heraus und macht diesen Roman gleichzeitig zu einem beklemmenden Zeugnis der damaligen Geschichte.
So sehr einen die Geschichte fesselt und das ganze Umfeld Pabst’s bis hin zur Familie, angeleuchtet wird, wer ist Pabst und was treibt ihn um und an? Der große Regisseur ganz klein bei seiner Rückkehr, so klein, dass selbst der Hausmeister, eine Art Quasimodo, ihn in seinem eigenen Haus degradiert? Da helfen die sehr bildhaften Szenen auch nicht, in denen man die Entstehung des verschollenen Films, vor seinen Augen miterlebt. So anschaulich habe ich sowas bisher noch nie gelesen. Ebenso steckt dieses Buch voller komischer Szenen, die teilweise grotesk bis surreal wirken, und nicht nur beim Hausmeister. Allein der Frauenleseclub war eine herrliche Farce ebenso wie der Auftritt des in dem Club besprochenen Autors. Kehlmann versteht es, seinen Leser zu unterhalten und ihn doch dabei auch zu fordern. Da stellt sich mir immer wieder die Frage, warum wird Pabst so dargestellt, wie er dargestellt wird. Passiv bis hin zur Unterwürfigkeit und alles nur dem Filmen unterworfen.
Trotz seiner Schwächen ist es ein guter Roman, der unterhält und einen zeitaktuell wieder vor Augen führt, was es damals, zu Zeiten des Deutschen Reichs, eben für Zeiten waren. Kehlmann versteht es, Geschichten zu erzählen, sie im historischen Kontext zu beschreiben, er nimmt den Leser mit, überlässt ihm aber auch die Interpretation des Gezeigten. Gewiss kann es der Autor besser, in „Tyll“ hat er es sehr gut bewiesen. Doch „Lichtspiel“ ist mehr, als es auf den ersten Blick scheint, und ja, auch voll mit Schwächen, aber auch Stärken.