Und wieder mal - ein großartiger Roman von Kehlmann

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Kehlmann ist für mich seit vielen Jahren ein Garant für gute Unterhaltung: immer andere Themen, immer hervorragend recherchiert, immer andere Erzählweise, immer gut.
Fakt und Fiktion werden auch in diesem Buch wieder verwoben zu einer wunderbaren Geschichte, bei der man Wissen erwirbt, ins Nachdenken gerät und auch einfach gut unterhalten wird.
Die Geschichte ist eingebettet in eine fiktionale Rahmenhandlung, die Jahre später spielt. Franz Wilzek, Pabsts Kameraassistent der Kriegs- und Nachkriegszeit, wird in eine TV-Sendung eingeladen, um über die frühere Zeit zu erzählen. Leider ist er hochgradig dement und versteht nicht wirklich, was um ihn herum passiert. Durch die Perspektive tauchen wir selbst ein in die Welt des Dementen, seine Wahrnehmungen, seine Fragen, seine Ängste.
Dann startet die eigentliche Handlung in Hollywood und hier ist es zunächst sehr vergnüglich, mitzuerleben, wie Pabst mangels Sprachkenntnissen vieles nicht versteht oder falsch. Mit der weiteren Handlung, die zurückführt nach Europa, verliert sich das Lachen dann allerdings.
Pabst wird dargestellt als ein Mann mit einer großen Leidenschaft zum Film, der nicht nur technisch viel kann, sondern auch immer wieder brillante Ideen hat. Er hat eine politische Haltung, hat innere Konflikte, aber er will nicht dafür kämpfen und sich engagieren. Er will nichts anderes als Filme machen und dadurch seine Gedanken und Ideen umsetzen.
Zurück in Deutschland muss er zwar keine Propagandafilme im engeren Sinne drehen, doch was er bei eigenen Dreharbeiten oder denen anderer Regisseure erlebt und zu dem er schweigt, beschädigt ihn für alle Zeiten.
Zum letzten Mal wirklich engagiert ist er bei dem Film "Der Fall Molander", der zu Kriegsende entsteht und verlorengeht. Damit er verliert er dann vollständig seine Kraft und es folgt nur noch ein mittelmäßiges Schaffen. So ist er letztlich eines der vielen Opfer seiner Zeit.
Klar, einfühlsam und bildhaft, manchmal auch humorvoll, erzählt Kehlmann die Geschichte, und man kann ganz in die Situationen eintauchen, spürt die Angst und Unruhe beim Erstarken des Nationalsozialismus, fühlt die Ohnmächtigkeit während des NS-Herrschaft, die Rechtfertigungen nach dem Krieg. Die Perspektive wechselt, ist aber überwiegend bei Pabst.
Ich habe viel gelernt über Film- und Kameratechnik und so ist das Buch nicht nur ein Buch über Pabst und den Nationalsozialismus, sondern auch eine Geschichte des deutschen Films vom Stummfilm bis in die Nachkriegszeit.
Es ist ein Buch über Moral in der NS-Zeit. Kann man sie bewahren? Muss man sie bewahren, auch wenn es das Leben kostet?
Kehlmann beantwortet diese Fragen nicht, er erzählt, bewerten muss man selber.
Fazit: ein großartiger historischer Roman im Übergangsbereich zwischen Realität und Fiktion, der am Beispiel einer echten Person die Frage nach Moral beleuchtet.