Wo Licht ist, ist auch Schatten

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Zum Inhalt:

Zunächst im Glanz der Zeit erstrahlt G.W. Papst, der Hauptprotagonist im neuen Roman von Daniel Kehlmann. Einst gefeierter Starregisseur, gelingt es ihm im fernen Hollywood nicht mehr seine Kunst auf Zelluloid zu bannen. Als migrierter Künstler werden ihm schlechte Drehbücher an die Hand gegeben, seine Expertise wird zwar in blumigen Reden beschworen, hat aber kein Gewicht mehr. Der Abstieg scheint vorprogrammiert. So greift Papst fast dankbar nach dem Strohhalm, der ihn wieder in die „Heimat", nun Ostmark und nicht mehr Österreich genannt, kommen lässt. Aufgrund eines fingierten Telegramms, das scheinbar von seiner kranken Mutter stammt, macht er sich mit Frau Trude und Sohn Jakob auf den Weg zurück. Dort angekommen zeigt sich das Reich bald in all seinen Abscheulichkeiten und nicht zuletzt aufgrund des Hausmeisters, eines fanatischen NSDAP Mitglieds, wird Papst schnell klar in welch gefährliche Situation er sich und seine Familie gebracht hat. An Ausreise ist nämlich trotz der nötigen Papiere nicht mehr zu denken, den Deutschland hat Polen überfallen und alle Grenzen sind geschlossen. Der Zweite Weltkrieg hat begonnen. Geht es für Papst zunächst immer weiter bergab, so gibt es aus dem Propagandaministerium schon längst Pläne um den zunächst abtrünnigen wieder in die Filmmaschinerie einzugliedern. Kein geringerer als Goebbels selbst wird ihm das entsprechende „Angebot" darlegen.

Mein Leseeindruck:

Daniel Kehlmann entfaltet entlang der Geschichte rund um G.W.Papst ein Panorama, das sowohl die Zeit vor, während und nach dem Zweiten Weltkriegs auf virtuose Weise. Drei Filme wird Papst drehen – der dritte, „Der Fall Molander“, befindet sich gerade im Schneideraum, als Prag von den Russen eingenommen wird. Er wird nie vorgeführt und es bestehen Zweifel daran, ob er überhaupt beendet wurde. Franz Wilzek der Regieassistent von Papst, inzwischen Dement und im Altersheim „Abendruh“ lebend, bestreitet die Existenz vehement. Und genau damit spielt Kehlmann.

Immer wieder mischen sich Fiktion und Fakten, nicht nur in Bezug auf die Biographie des Regisseurs sondern auch in der Wahrnehmung der Romanfiguren. Oft laufen Szenen fast auf surreale Weise am Auge des Lesers vorbei, Erinnerungen werden in Frage gestellt und Gesagtes bestritten. Fast wie auf einer Kamerafahrt, leitet uns der Autor durch ein dichtes Geflecht aus brillant komponierten Szenen, die einen unmittelbar gefangen nehme. Flirrend und oft auf sehr banale Art böse zeigt das NS Regime seine Fratze und den Terror den es ausübt. Oft lief es mir regelrecht kalt den Rücken hinunter, weil das unfassbar Schreckliche einfach in den normalen Alltag eingebettet Stück für Stück normaler erscheint und schließlich zur neuen Realität wird. Und schon hat man als Leser die Fragen im Kopf: Ist es auch heute so? Schleicht sich das Grauen einfach in das übliche Leben und wir merken es erst wenn es zu spät ist? Wann ist es zu spät?

Denn auch Papst macht sich nicht von Anfang an zu einem willigen Helfer der Nazis! Es ist ein schrittweises sich Korrumpieren, ein schrittweises sich Beschmutzen bis hin zum fast gleichgültig anmutenden Tolerieren von Zwangsarbeitern als Filmstatisten. Was darf die Kunst? Welche Opfer sind um ihrer Willen in Kauf zu nehmen? Wie reagieren Menschen in totalitären Regimen und was hält sie am Leben? Welche Wahl hat man als Individuum und welchen Preis muss man am Ende für seine Entscheidungen zahlen? Dieses Buch verhandelt all diese Fragen und noch viele mehr ohne dabei überladen, pathetisch oder besserwisserisch zu sein. Text und Inhalt gehen hier eine kunstvolle Symbiose ein, die diesen Roman sowohl stilistisch als auch inhaltlich zu einem Ereignis machen. Permanente Spiegelungen lassen die einzelnen Szenen miteinander in Verbindung treten und verstärken sich damit auf elegante und intelligente Weise. Für mich ein meisterlich ausgearbeitetes Werk voller Tiefe, Klugheit und Intensität. Eine unbedingte Leseempfehlung!