Auf Spurensuche

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„Lichtungen“ ist für mich der erste Roman der Autorin Iris Wolff, und um es vorweg zu nehmen, er hat mich von Beginn an eingenommen und mir bis zum Schluss ein großes Lesevergnügen bereitet.

Im Zentrum der Geschichte stehen Lev und seine über Jahre anhaltende Freundschaft zu Kato. Die beiden einstigen Kinder sind zwei ungleiche, gegensätzliche Menschen, die einander tief verbunden sind. Kato kann als ruhelos, kreativ und nach außen gerichtet beschrieben werden. Lev wirkt introvertiert, beobachtend und abwartend. In neun Kapiteln wird mir ihre Kindheit und ihr Familienleben in einem rumänischen Dorf näher gebracht. Besonders Lev habe ich dabei kennengelernt, wie er, statt zur Schule zu gehen, die Arbeit im Wald annimmt und später bereits 18-jährig zum Militär geht. Ich erfahre seine Sicht auf die Beziehungen zu Familienmitgliedern z.B. zum Großvater, dem er zur Flucht verhilft. Auch das Verhältnis zu einzelnen Schulkameraden oder zu den Frauen der Familie (Mutter, Großmutter und der Schwester), die ihm stets näher als die beiden Brüder sind, werden eindringlich beschrieben.

Der Roman spielt unter anderem in der Zeit vor dem Fall des Eisernen Vorgangs. Immer wieder werden Beschreibungen und Bezüge zur Alltagswelt der Handelnden und zum Staatssystem sichtbar. Manchmal werden sie nur beiläufig erwähnt, z.B. „ein Witz über Ceausescu reichte“, um Strafmaßnahmen befürchten zu müssen (126). Doch diese Andeutungen genügen, die damit verbundene Entbehrungen und Repressalien erahnen zu lassen.

Über alle Kapitel hinweg zeichnet sich für mich die Frage nach Zugehörigkeit, Herkunft und Freundschaft ab. Um ihr nachzugehen, wird von den beiden Hauptfiguren abverlangt, sich zwischen Bleiben und Aufbruch zu entscheiden („Jedes Land, jede Stadt, jedes Bild hat mir gezeigt, wer ich bin. […] Ich musste fortgehen, um es herauszufinden“) (40).

Wolffs Sprache ist poetisch und äußerst atmosphärisch, was bei mir ein Nachklingen vieler Sätze zur Folge hat und mir ein bildliches Hineinspüren in dargestellte Szenen ermöglicht. Der Roman wird episodisch und in umgekehrter zeitlicher Abfolge erzählt, was vor allem zu Beginn dazu geführt hat, dass ich immer wieder auf Textpassagen stieß, die sich mir nicht sofort erschlossen haben und erst im Nachhinein aufgelöst werden konnten. Der Ausgang von Katos und Levs Beziehung steht somit am Anfang des Romans. Seite um Seite führt die Erzählung in die Vergangenheit zum Ursprung ihrer Freundschaft und zu den Gründen ihre Entscheidungen zurück. Die Darstellung einzelner Szenen ist oft wage und bloße Andeutung, aber stets sprachlich intensiv und klug ausgeführt. Diese Erzählweise mutet ein konzentriertes Lesen zu und lässt gleichzeitig genügend Spielraum für Interpretationen zu, was ich als besonders ansprechend empfinde.

„Lichtungen“ ist ein zartes, feinsinniges und berührendes Buch mit einem sehnsüchtigen Unterton. Ich habe mich sehr gern auf diese literarische Spurensuche eingelassen.