Levs Rumänien

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lili_an Avatar

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Rumäniens Geschichte, Alltag, Familienleben und Politik - all das lernt man aus Levs Sicht kennen. Zudem treiben ihn Fragen rund um Freundschaft und Identität um. Rundum ein sehr lesenswertes Werk!

Durch einen Unfall kann Lev einige Zeit das Bett nicht verlassen und Kato wird ihm zur Seite gestellt, damit er mit dem Schulstoff auf dem Laufenden bleibt. Daraus ergibt sich eine innige Freundschaft. Als beide auf der Suche nach der eignen Identität getrennte Wege gehen, wird ihr Verhältnis loser. Doch schlussendlich besucht Lev Kato auf ihrer Reise und die alte Freundschaft setzt sich fort.

Dass die Kapitel des Buches "rückwärts" angeordnet sind, also vom Jetzt ins Früher laufen, hat mich zunächst irritert. Schon bald fand ich das aber einen erzählerisch ziemlich genialen Griff. Das Werk ist eine Art Lebensrückblick aus Levs Augen - was hat ihn (und Kato) an die Stelle gebracht, an der siee jetzt sind? Wieso haben sie sich entzweit? Worauf gründet ihre Freundschaft? Wieso lag Lev überhaupt mit gelähmten Beinen im Bett?

Ich finde auch schön, wie Levs Charakter aufgebaut ist. Anhand seines Lebens erhält man ganz natürlich Einblicke ins "rumänische Innenleben" - wie funktioniert seine Familie und die seiner Freunde? Wie verläuft der Alltag für ihn und sein Umfeld? Welchen Herausforderungen musste er und seine Vorfahren sich stellen - auch mit Blick auf die Politik? Mit liebevoll eingestreuten Details vermittelt Iris Wolff ein authentisches und lebendiges Bild von Rumänien im Verlauf der letzten 1-2 Generationen. Absolut empfehlenswert! Das sit das erste Buch in dem ich tatsächlich Notizen in die Margen geschrieben habe, da ich die mir bisher unbekannten Details des Rumänischen Lebens so interessant fand.

Meine einzigen kleineren Mankos sind, dass mir die Charaktere stellenweise doch sehr passiv erscheinen (nie redet jemand wirklich miteinander oder nimmt das eigene Schicksal in die Hand - mit Ausnahme von Katos Ausbruch aus ihrer Realität). Die Zeitlinie hat mich an wenigen Stellen etwas verwirrt, da ich nicht immer direkt Anzichen gefunden habe aus welcher Episode von Levs Leben gerade erzählt wird. Da mitunter auch Erzählungen und Rückblicke von anderen Charakteren eingesetreut sind war ich teilweise etwas konfus.
Ich hätte mir auch gewünscht früher vom Zitat-Verzeichnis mit Übersetzungen zu wissen. Vor jedem Kapitel ist ein Zitat in diversen Sprachen eingestreut - leider konnten mir beim Lesen auch diverse Übersetzungs-Tools nicht weiterhelfen. Ich hätte mir direkt auf den Seiten eine Übersetzung (und vllt Quellenangabe) im Fußtext der Seite gewünscht, um das Feeling voll mitnehmen zu können.

Ansonsten kann ich das Buch wirklich nur empfehlen!

Lieblingszitate:
Zugehörigkeit ist vielleicht nichts anderes als eine Entscheidung.

Er sei, sagte Ferry, in seinem Leben einiges gewesen. Er sei als Österreicher in dieses Jahrhundert gestartet und, obwohl er sich geographisch nicht vom Fleck bewegt hatte, Rumäne geworden, dann Ungar and habe schließlich, auch wenn sein Pass ihn jetzt wieder als Rumänen auswies, entschieden, er bleibe Österreicher. […] Warum sollte die eigene Entscheidung schlechter sein als jene, die irgendwelche Leute in irgendwelchen Hauptstädten trafen?

Ihr Deutschen lebt in der Straße, seid ganz mit eurem Haus verwachsen, zieht die Vorhänge zu, verbergt euch im Hof wie ein Fuchs in seiner Höhle. Wir Rumänen jedoch leben auf der Straße, für jeden sichtbar, ansprechbar.

Die Kunst war ein Spiel zwischen Zeigen und Verbergen. Das Leben auch? Manches konnte man in sich verstecken, bis man vergaß, dass es einmal da gewesen war. Anderes nicht.

Jedes Land, jede Stadt, jedes Bild hat mir gezeigt, wer ich bin. Was mir wichtig ist. […] Ich musste fortgehen, um es herauszufinden.