"Man ist, einmal gegangen, immer ein Gehender" - Ein ganz besonderes Buch, erzählt in einer ganz zärtliche Sprache

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nikomiko Avatar

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„Lichtungen“ von Iris Wolff ist ein wunderbarer Roman, zart, poetisch und herausfordernd zugleich.

Durch einzelne Episoden lernen wir die Protagonisten Lev und Kato kennen. Die Geschichte beginnt in der Gegenwart, Kato trifft im Westen wieder Lev, nachdem sie mehrere Jahre getrennt waren. Ihnen verbindet eine sehr lange Freundschaft.

Die Geschichte wird rückwärts erzählt und auch die Kapitel sind umgekehrt nummeriert. Wir lernen Lev und Kato besser kennen, verstehen langsam ihre Beziehung und erleben die Atmosphäre Siebenbürgens/Rumäniens in den 80er und 90er Jahren.

Lev stammt aus einer ethnisch gemischten Familie mit deutschen und rumänischen Wurzeln. Doch er fühlt sich seinem Wohnort verbunden und möchte das Land nicht verlassen, auch wenn es andere überrascht. Kato, die schon immer eine Außenseiterin war, braucht mehr Freiheit und verlässt Rumänien so schnell wie möglich. Lev und Kato bleiben weiterhin über Postkarten in Kontakt. Bis Kato eines Tages Lev in einer Postkarte fragt, wann er kommt.

Iris Wolff erzählt die Geschichte poetisch, bildgewaltig und sehr einfühlsam. Um die besondere Atmosphäre zu schaffen, verwendet die Autorin viele Metaphern. Sehr viele Szenen werden treu genau beschrieben, manche werden nur angedeutet. Die Metaphern unterstützen das Geschehen im Buch sehr gut und geben das Gefühl, dass man alles miterleben darf.

Das Buch lässt sich in drei Hauptabschnitte unterteilen. Im ersten Abschnitt treffen wir Lev und Kato und es wird mehr über die Gegenwart erzählt. Im zweiten Abschnitt konzentriert sich die Autorin stärker auf das Leben unter dem Ceaușescu-Regime. Das Leben war nicht einfach, je älter man war, desto mehr Erfahrung hatte man. Es werden viele Dinge erwähnt, die einen großen Einfluss auf Rumänien hatten, Tschernobyl, Militärdienst, Forstarbeiten, die Kontrolle von Menschen in grauen Anzügen, die Notwendigkeit, sich von bestimmten Menschen fernzuhalten, um nicht selber unter Kontrolle zu geraten, usw. Der dritte und letzte Abschnitt beantwortet viele Fragen und klärt viele Hintergründe auf. Am Ende wird noch viel mehr über Lev erzählt.

Wenn ich zuerst dachte, es wäre ein Buch über Lev und Kato und ihre Freundschaft, wurde mir klar, dass es sich tatsächlich um ein Buch über Lev, Zugehörigkeit und die vielen Verluste handelt, die ein Mensch in einem Leben erleiden kann, und ein Buch über das, was uns Menschen am Leben halten kann.

Es gibt auch viele interessante Nebencharaktere im Buch.

Meiner Meinung nach ist Bunica eine typische Figur aus Ceausescus Rumänien. Man ist ruhig und lernt ständig, in einer Welt zu leben, in der man selten die Wahrheit erfährt. Die Wahrheit und der Stand der Dinge werden immer erst am eigenen Leib erfahren. Bunica hat viel erlebt und weiß viel mehr als man denkt. Das Leben unter Ceaușescus Regime war nicht einfach. Bunica weiß jetzt, mit welchen Menschen man den Kontakt meiden sollte, und sie weiß auch, dass man ständig überwacht wird – all das zu wissen, war eigentlich während des Ceaușescu-Regimes eine Voraussetzung. Bunica kennt die richtige Antworten und bringt Lev das auch bei.

Ferry ist eine weitere Nebenfigur, der mehr Tiefe verliehen wird. Er fühlt sich wegen Levs Unfall schuldig und ist deshalb nicht mehr so ​​präsent in Levs Leben. Ferry möchte Rumänien verlassen, weil er das Gefühl hat, woanders hinzugehören. Leider erfährt er, wie schwierig es ist, Rumänien auf einem legalen Weg zu verlassen.

Der Schreibstil ist poetisch und bildhaft, man sieht unvergessliche Bilder, die in einfachen Worten beschrieben wurden. Und doch ist das Buch insgesamt herausfordernd. Die Geschichte wird rückwärts und in einzelnen Episoden erzählt, die wie kleine Lichtungen wirken und uns immer mehr Einblick in das Leben im Rumänien der 80er und 90er Jahre geben, wo wir eine Handvoll Charaktere kennenlernen.

Dieses Buch ist keine leichte Lektüre. Durch die vielen Metaphern und das rückwärts Erzählen ist das Buch etwa anspruchsvoll aber vielleicht das ist was dem Buch viel mehr Wert gibt. Mit einer poetische und sehr zärtliche Sprache erzählt die Autorin über Gefühle wie Zugehörigkeit, Familie, Freundschaft, Verluste und das Leben selbst. Ein Buch, das sich ganz bestimmt lohnt, gelesen zu werden.