vielleicht so etwas wie Glück

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Lev hoffte, dass seine Schwester Bredica "vielleicht so etwas wie Glück" in ihrer Ehe fand, "als er sie vor sich sah, wie sie sich drehte, wie ihr Rock aufflog, als er sah, wie ihr Gesicht weich wurde". Eine meiner Lieblingsstellen in diesem stimmungsvollen Roman von Iris Wolff.

Lev und Kato sind in einem Dorf in Rumänien aufgewachsen. Der Roman beginnt, als sich Lev und Kato nach 5 Jahren Trennung in Zürich wiedersehen und gemeinsam über Paris, Nantes und Montpellier zurück nach Osten reisen. Und nicht nur Lev und Kato, beide zu Beginn des Romans etwa 35 Jahre alt, reisen zurück. Auch der Roman wird rückwärts erzählt. In 9 Kapiteln wird das Leben Levs vom Erwachsenenalter über seine Jugend bis zurück in seine Kindheit aufgerollt. So erschließt sich dem Leser, wie Lev und Kato zu den Menschen, die sie zu Beginn des Romans als Erwachsene sind, geworden sind.

Was verbindet die beiden ? Ist es Liebe, Freundschaft, die gemeinsame Kindheit in Siebenbürgen ? Beide verbringen Kindheit, Jugend und junges Erwachsenenalter in einem kleinen Dorf in Siebenbürgen. Levs Mutter ist Rumänin, sein Vater Siebenbürger Sachse. Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs und dem Ende des Warschauer Pakts zieht es Kato in den Westen. Lev bleibt als Betreiber eines Sägewerks in Rumänien zurück.

Der Roman ist zunächst nicht einfach zu lesen. Immer wieder muß man sich bewußt machen, dass die Geschichte hier rückwärts erzählt wird. Der Protagonist Lev wird während des Verlaufs des Romans nicht älter, sondern jünger. Kato hilft ihm, als er als Schulkind schwer erkrankt. Zunächst durch Nachhilfe, um in der Schule Versäumtes nachzuholen, dann durch ihre Freundschaft und Gegenwart, um gesund zu werden. Hat man sich einmal an die Erzählweise gewöhnt, erschließt sich vor allem durch die einfühlsame, stimmungsvolle Sprache das Leben der Menschen in Siebenbürgen.

Kato ist zu Beginn des Romans Straßenkünstlerin und erschafft auf den Plätzen Europas mit Kreide vergängliche Repliken großer Künstler. Ähnlich wie ein Gemälde entwirft auch die Autorin vor dem inneren Auge des Lesers die Welt, den oft harten Alltag, der Menschen in Rumänien. Farbenfroh, licht und dunkel, atmosphärisch dicht, die Schönheit der Natur Siebenbürgens, der Wälder, der Tierwelt spiegelnd, die Fantasie des Lesers anregend. Eine malerische Sprachkraft, die darüberhinaus Gerüche, Geräusche und zwischenmenschliche Empfindungen geradezu zum Leben erweckt.

Was nun verbindet Lev und Kato ? Meine Antwort nach der überaus bereichernden Lektüre: "Vielleicht so etwas wie Glück". Die durch die Verbundenheit zweier Menschen, die gemeinsame Kindheit, gemeinsame Erinnerungen und letztendlich die Heimat entstehenden Lichtungen um Verlauf eines Lebens.

Ein wunderschöner, stiller Roman über familiäre Geborgenheit, Heimat, Freundschaft, Liebe und die Schönheit der Natur Siebenbürgens. Ich vergebe 5 Sterne und eine große Leseempfehlung.