Vom Gehen und Bleiben

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dajobama Avatar

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Lichtungen – Iris Wolff
Lev und Kato sind Freunde seit ihrer Kindheit in der rumänischen Provinz. Die Öffnung der europäischen Grenzen ändert alles. Kato sieht endlich die Möglichkeit ihren Freiheitsdrang zu befriedigen und hinaus in die Welt zu ziehen. Lev bleibt zurück – erst fünf Jahre später gibt es ein Wiedersehen.
Diese Geschichte hat eine interessante Erzählweise: Sie wird rückwärts erzählt. Mit jedem Kapitel springt man ein ganzes Stück in die Vergangenheit. Das ist raffiniert, denn für viele Hinweise oder Anmerkungen findet man die Erklärung erst später in der Erzählung. Außerdem ist man wirklich geneigt, nach dem Beenden des Romans einfach nochmal von vorne zu beginnen. Beim Lesen selbst habe ich diesen „Rückwärtsgang“ allerdings manches Mal als störend empfunden. Zu Beginn jedes neuen Kapitels (es sind 9) musste ich erst diese kurze Irritation überwinden und mich neu in der Zeit zurechtfinden. Es ist ungewohnt, doch wenn man einmal umdenkt, fällt auf, dass das Kennenlernen einer neuen Person auf eben dieselbe Art und Weise funktioniert. Zuerst lernt man die Person kennen, wie sie heute ist. Erst nach und nach erfährt man dann Details zu Herkunft und Vergangenheit.
Allzu einfach macht es die Autorin ihren Lesern nicht. Vieles wird nur angedeutet oder in Bildern ausgedrückt. Man muss sich als Leser viel dazudenken. Manche Passagen sind mehr Stimmung als Handlung. Im Prinzip ist es eine Aneinanderreihung von Momentaufnahmen zweier Leben. Eben vor dem Hintergrund der geschichtlichen Begebenheiten und Ereignisse. Gerade die Situation der Deutschen in Rumänien spielt eine große Rolle.
Abgesehen davon zeichnet Iris Wolffs Schreibstil eine wunderschöne poetische, treffsichere Sprache aus. Jeder Satz ein Genuss. Hier ein paar Beispiele vom Anfang des Romans:
„Zwischen Gestern und Morgen gab es nur eine hauchdünne Schicht.“ Seite 10
„Man ist einmal gegangen, immer ein Gehender.“ Seite 27
„Jeder Augenblick enthält alles Gewesene, und war doch immer wieder ein Neubeginn.“ Seite 34
Es ist eine tolle zarte Atmosphäre, die sich durch die Geschichte zieht.
Dieser Roman erfordert die volle Aufmerksamkeit des Lesers. Hat man sich aber erst mal mit der besonderen Erzählweise angefreundet, erhält man eine ganz besondere, raffiniert erzählte Geschichte.
4 Sterne