Bis auf das Ende, eine absoluter Page Turner

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eulenmatz Avatar

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INHALT:
Eine fensterlose Hütte im Wald. Lenas Leben und das ihrer zwei Kinder folgt strengen Regeln: Mahlzeiten, Toilettengänge, Lernzeiten werden minutiös eingehalten. Sauerstoff bekommen sie über einen »Zirkulationsapparat«. Der Vater versorgt seine Familie mit Lebensmitteln, er beschützt sie vor den Gefahren der Welt da draußen, er kümmert sich darum, dass seine Kinder immer eine Mutter haben. Doch eines Tages gelingt ihnen die Flucht – und nun geht der Albtraum erst richtig los. Denn vieles deutet darauf hin, dass der Entführer sich zurückholen will, was ihm gehört.

MEINUNG:
Liebes Kind erinnert mich sofort an Raum von Emma Donoghue, vermutlich weil, die erste Erzählerstimme die kleine Hannah ist. Ich hatte fast befürchtet, dass es komplett aus Hannahs Sicht geschrieben ist, aber es gibt auch noch die Sicht von Lenas Vater und von einer Frau, die für Lena gehalten wird, denn Hannah bezeichnet sie als ihre Mutter. Durch einen Zufall können beide fliehen und werden in einen Autounfall verwickelt, der alles ins Rollen bringt. Die Geschichte setzt nach der Entführung ein und deren Aufarbeitung an.

Relativ schnell merkt man, dass vieles nicht so passiert sein kann, wie es die Beteiligten schildern. Die drei Erzähler haben auch ganz unterschiedliche Formen, um mit dem Geschehenen umzugehen. Hannah fand ich dabei besonders speziell, denn sie leidet wohl an einer Form des Asperger-Syndroms und reagiert auf alles sehr nüchtern und sehr pragmatisch. Für sie war die Hütte ihr Zuhause und der familiäre Ablauf ganz normaler Alltag. Mir stellten sich immer wieder die Nackenhaare auf, wenn den angedeuteten Grausamkeiten folgt, aber Hannah kommt außerhalb der Hütte nicht besonders gut zurecht und versteht auch vieles nicht. Das liegt aber nicht an ihrem Alter, sondern eben an ihrer speziellen Persönlichkeit. Ich fand Hannah oft auch ein wenig unheimlich und gerade dadurch so grandios geschrieben von der Autorin.

Matthias hat seine Tochter nie aufgegeben und in ihm entfacht nach der Nachricht, dass man Lena gefunden hat, eine große Hoffnung. Er ist in seinem Eifer auch kaum zu bremsen und häufig sehr ungeduldig, was die Ermittlungsstände der Polizei angeht und tut das Falsche aus den richtigen Gründen, in dem er sich auch an die Presse wendet. Auch seine Frau, Lenas Mutter, kann häufig nicht zu ihm durchdringen. Ich fand es natürlich zum Teil nachvollziehbar, aber manchmal auch etwas unheimlich, weil er schnell auch zu Überreaktionen neigte.

Spannend war auch Lenas, die als Opfer eine Entführung, dann wieder zurück ins Leben finden muss, was ohne professionelle Hilfe, die sie aber verweigert, nicht möglich ist. Obwohl sie eigentlich frei ist, ist sie es doch nicht, denn Entführer ist immer noch in ihrem Kopf und in ihren Gedanken. Auch in einen freibestimmten Tagesablauf findet sie nur schwer zurück. Man spürt, dass einfach ein Teil von ihr zerbrochen ist, dass sie unfrei ist, obwohl sie eigentlich frei ist. Auch diese Passagen waren sehr intensiv zu lesen.
Der Spannungsbogen konnte konstant gehalten werden. Gleich zu Beginn gibt auch so viele Ungereimtheiten und Widersprüche, dass ich das Buch einfach nicht mehr aus der Hand legen konnte. Ich habe auch so viele Theorie entwickelt, wer und was dahinterstecken könnte und wie es wirklich alles war. Genau aus diesem Grund war ich dann etwas ernüchtert von der Auflösung, denn darauf wäre ich nie gekommen und dafür gab es eben auch in der Fülle von Anhaltspunkten keinerlei Hinweise. Das hat mich persönlich nicht wirklich zufrieden gestellt, aber das mag Geschmackssache sein. Trotzdem war alles in sich schlüssig erklärt und es blieben keine Fragen offen.

FAZIT:
Liebes Kind war, bis auf das für mich nicht richtig runde Ende, ein absoluter Pager Turner, den ich innerhalb von ein paar Tagen verschlungen habe. Der Spannungsbogen ist die ganze Zeit vorhanden. Für mich ein bemerkenswertes Debüt, auch was den Erzähl- und Schreibstil angeht.

Ich vergebe 4 von 5 Sternen.