Die fensterlose Hütte im Wald

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
jenvo82 Avatar

Von

„In seiner Wirklichkeit hatte er mich gefragt, ob ich bereit war zu sterben, und ich hatte mich mit einem stummen Nicken einverstanden gezeigt. Ihm meine Erlaubnis erteilt.“


Inhalt


Seit 14 Jahren wird die damals 23-jährige Studentin Lena Beck vermisst. Ihre Eltern haben die Hoffnung nie aufgegeben, sie eines Tages wiederzufinden. Doch als Lenas Vater Matthias zu einer Schwerverletzten ins Krankenhaus gerufen wird, um sie möglicherweise als seine Tochter zu identifizieren, wird er enttäuscht. Die Fremde hat ein Martyrium in einer einsamen, fensterlosen Hütte im Wald hinter sich, dem sie nur mit Mühe und Gewalt entkommen konnte. Mit ihr geflohen ist ein 13-jähriges Mädchen, angeblich ihre Tochter Hannah, doch diese sieht Lena frappierend ähnlich und wird mittels DNA-Test auch als Kind der Vermissten anerkannt. Für Matthias stellt sich nun die bange Frage, was aus seiner Tochter wirklich geworden ist, wenn die Misshandelte behauptet, Lena zu sein und doch eine ganz andere ist …


Meinung


Dieses Thriller-Debüt der Münchner Autorin Romy Hausmann ist eine Wucht und vereint alles, was ein grandioser Spannungsroman haben muss. Zunächst fällt eine ungewöhnliche Aufteilung der Protagonisten auf, denn hier spricht nicht nur die Gefangene selbst, sondern auch ein schwer gestörtes Kind und ein psychisch labiler, verzweifelter Vater – und jeder öffnet für den Leser eine andere Tür, um ihn am Höllenszenario in der Hütte teilhaben zu lassen. Äußerst geschickt wechselt die Autorin nicht nur die Erzählstimme, sondern auch die Zeitebene.

Während man manchmal direkt in der Hütte mit dem ausfallenden Zirkulationsapparat, der für die Frischluft verantwortlich ist, auf ein grausames Ende einer rekrutierten Zwangsfamilie wartet, liest man im nächsten Moment die sensationslüsternen Zeitungsartikel über ein angebliches Partygirl, welches sich mit dem falschen Mann eingelassen hat.

Darüber hinaus fesselt aber gerade die gegenwärtige Situation, einer schwer traumatisierten jungen Frau und zweier ebenso beschädigten Kinderseelen, die sich nun in einem Alltag jenseits ihres fensterlosen Zuhauses zurechtfinden müssen. Jede Seite bringt neue Erkenntnisse und macht den Leser auf die Entwicklung neugierig.

Der eigentlich perfekte Schachzug dieses Buches ist jedoch die sich immer mehr verdichtende Möglichkeit, dass der Täter gar nicht tot ist. Vielleicht ist ihm die Flucht gelungen, vielleicht will er seine perfekte kleine Familie zurückhaben und sinnt auf eine Möglichkeit erneut in deren Leben zu treten. Und warum gibt die falsche „Lena“ immer wieder Unwahrheiten kund? Wer schützt hier wen und wovor? Kluge, aufregende Unterhaltungsliteratur, die tiefe Ängste hervorruft und ein Lügengeflecht aufbaut, bei dem sich jeder fragt, was der andere verbirgt.


Fazit


Dieser Thriller spielt in der ganz großen Liga mit und konnte mich auf Anhieb überzeugen, deshalb vergebe ich begeisterte 5 Lesesterne. Definitiv eine neue Richtung und diverse Highlights, die immer genau im richtigen Moment gezündet werden. Dennoch spielt die Handlung mehr auf psychologischer Ebene, sie beschreibt traumatisierte Menschen jeder Altersklasse, sie ruft Beklemmung und Bestürzung hervor und agiert weniger mit wilden Mutmaßungen, als vielmehr mit bitteren Wahrheiten.

Seit langer Zeit hat mich ein Thriller wieder einmal derart ausgiebig gefesselt. Es gelingt dem Text, dass er in Erinnerung bleibt, dass man auch nach der Lektüre noch darüber nachsinnt und sich in die Beweggründe aller Beteiligten hineinversetzen möchte. Durch eine Empfehlung bin ich überhaupt erst auf das Buch aufmerksam geworden, wie gut, dass es immer wieder Überraschungen gibt. Auf weitere Bücher der Autorin bin ich sehr gespannt, ein echtes New-Comer-Talent!