Irgendwie absurd und doch fast schmerzhaft real

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
waschbaerprinzessin Avatar

Von

Die Beziehung zwischen Lio und Max ist wie ein Autounfall: Irgendwie ist die ganze Zeit klar, dass es zu unschönen Szenen kommen wird, und trotzdem kann man nicht weggucken bzw. „Liebewesen“ von Caroline Schmitt aus der Hand legen. Dass in diesem rasanten Debütroman laut Klappentext eine ungewollte Schwangerschaft im Mittelpunkt stehen soll, ist etwas irreführend. Auf den positiven Schwangerschaftstest muss man bis kurz nach der Hälfte warten. Das Zitat, mit dem das Buch eröffnet und beworben wird, das aber erst auf Seite 207 von 221 vorkommt, hat bei mir völlig falsche Vorstellungen vom thematischen Schwerpunkt und dem Plot des Buches geweckt.

Letztendlich war es aber halb so schlimm, dass ich das Buch mit einer ganz anderen Erwartung an den Inhalt aufgeschlagen habe. „Liebewesen“ war dennoch ein Leseerlebnis, das mich begeistert hat. Die Autorin porträtiert die Beziehung der mit Traumata aus ihrer Kindheit und Jugend kämpfenden Biologin Lio mit dem depressiven Radiomoderator Max beginnend beim Kennenlernen auf Tinder. Beide haben ihr Päckchen zu tragen und es stellt sich die Frage, ob sie einander aufrichten oder sich gegenseitig in den Abgrund reißen werden. Im Laufe der Handlung erleben sie allerhand absurde Situationen wie ein Date in der Badewanne und Nacktbaden mit der potenziellen Schwiegermutter. Schmitt gelingt es mit ihrer alltagsnahen Sprache, die verrücktesten Begebenheiten lebensecht rüberzubringen. Auch ihre Charaktere, die obwohl noch recht jung schon derart vom Leben geschädigt sind, wirken gerade durch ihre Probleme, Ängste und manchmal auch etwas unsympathischen Eigenschaften dreidimensional und wie aus dem Leben gegriffen.

Die Entwicklung der Beziehung der beiden zu verfolgen, ist spannend und unterhaltsam, und ich konnte mich in viele Situationen gut hineinversetzen und insbesondere mit Lio mitfühlen. Dann wiederum gibt es aber auch beklemmende Passagen, in denen Lio sich daran erinnert, was sie in ihrer Kindheit und Jugend durchgemacht hat, oder in denen sie mit ihrem eigenen Körper einfach nicht zurechtkommt. Diese Momente werden ebenfalls ehrlich und ungeschönt dargestellt. Insgesamt hätte ich mir aber doch gewünscht, dass etwas näher auf Lios Aufwachsen und ihre spätere Beziehung zu ihren Eltern eingegangen worden wäre.

Nichtsdestotrotz ist „Liebewesen“ von Caroline Schmitt ein Roman, den man sich nicht nur wegen des großartigen Covers ins Regal stellen sollte, sondern auch weil die Autorin Beziehungsdynamiken schonungslos, realistisch und mitreißend am Beispiel zutiefst menschlicher Charaktere darstellt.