Tabubruch mit Ansage

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Dass dieses Buch Grenzen überschreiten möchte, kündigt bereits das Cover plakativ an. Für den Fall, dass jemand den Tabubruch mit Ansage noch nicht verstanden hat, liegt dem Rezensionsexemplar ein Brief der Lektorin bei mit deren Rezension. Lehrreiche Hinweise, damit ich schon vor dem Lesen erkenne, was für ein kantiges Juwel mir da in die Hände gefallen ist. Oder darf ich den Brief als Blaupause verstehen, nach der ich meine Rezension richten könnte/sollte?

Also lese ich den Roman erst einmal selbst und so unvoreingenommen, wie das nach diesem Brief überhaupt noch möglich ist. Plakative, große Sätze kommen mir da entgegen. Dieser Roman wurde „gebaut“, nicht geschrieben. Mehr ist mehr. Oder vielleicht doch nicht? Die Sprache ist stark, laut. Man muss entgegen der Meinung der Lektorin die Sätze auch nicht zweimal lesen, denn sie werden mir auf wenig subtile Weise entgegengebrüllt. Die beste Beschreibung hat uns die Autorin im Roman selbst geliefert, als sie Max ein Bild beschreiben lässt: „sehr plakativ und auf die Zwölf“.

Inhaltlich wartet der angekündigte Tabubruch mit einer intensiven, schmerzhaften Beziehung und dem nicht weniger intensiven Ausscheiden von Körperflüssigkeiten und -inhalten aller Art. Leider kann das nicht wirklich schockieren, denn die „Feuchtgebiete“ von Charlotte Roche haben bereits vorgemacht, wie das geht. Schälen wir also das Blut und die Kotze herunter und betrachten die eigentliche Geschichte: Es bleibt eine junge Frau mit schwerer Kindheit, die sich in eine erschreckende Beziehung mit einem depressiven, labilen Partner ergibt. Beim Lesen schmerzt der Opferungswillen von Lio, und ich muss einräumen: Ja, hier geht der Roman endlich dorthin, wo es weh tut. Hier im Kern kommen die wahren Konflikte endlich zum Vorschein, und nun erkenne auch ich das Funkeln des Juwels.