Ein Nachruf auf die ermordete Schwester

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liselottchen1 Avatar

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Vor knapp dreißig Jahren wurde Liliana, die Schwester der Autorin, im Alter von zwanzig Jahren stranguliert aufgefunden. Als Mörder steht schon bald ihr Ex-Freund Angel fest, zu dem sie eine toxische Beziehung hatte. Er wurde jedoch niemals für seine Tat vor Gericht gestellt, da er sich durch Flucht entzogen hat – für die Familie bis heute ein wunder Punkt.
Das Buch beginnt mit der Suche der Autorin nach der Ermittlungsakte ihrer Schwester. Eine Odyssee, man schickt sie in Mexiko-Stadt von einem Büro ins andere, am Schluss vergeblich. Da beschließt sie, ihre Schwester mit Erinnerungen zu verewigen, es kommen die Eltern, zahlreiche Mitstudentinnen und -studenten, sowie ihre Freundinnen, Nachbarn und sonstige Wegbegleiter zu Wort. Auch Briefe und Notizen von Liliana finden ihren Platz. Sie ergeben das Bild eines lebenslustigen, fröhlichen Mädchens, das ihr Dasein genossen hat und von allen geliebt wurde, jedoch sich selbst mit der Liebe zu den Männern schwergetan hat.
Man gewinnt Einblicke in das Leben in Mexiko, über den Umgang mit den Frauen in diesem Land und die Entwicklung in den dreißig Jahren nach Lilianas Tod. Unglaublich, wie Frauen behandelt und unterdrückt wurden, teilweise zieht sich das bis heute. Die Arbeitsmoral der Behörden ist bestenfalls als gleichgültig zu bezeichnen. Dass Ermittlungsakte einfach verschwinden, obwohl der Täter nie gefasst wurde, ist unerhört. Die Autorin verarbeitet nach so vielen Jahren den Tod ihrer Schwester, das ist durchaus gelungen. Besonders schockiert hat mich, dass die Eltern zum Zeitpunkt der Tat außer Landes waren und als sie zurückkamen, war ihre Tochter Liliana bereits beerdigt. Heutzutage mit den Handys undenkbar, sogar in Mexiko.
Für mich war es interessant und informativ zu lesen, doch ich hätte mir ein wenig mehr Ordnung und Struktur gewünscht. Beispielsweise wäre eine geschlossene Berichterstattung des Tathergangs am Anfang hilfreich gewesen, nicht die schichtartige Enthüllung durch Zeitungsartikel und Zeugen im letzten Drittel. Über Lilianas Charakter erfährt man nur puzzleartig manches und nicht alles lässt sie sympathisch erscheinen. Mir fehlte zudem ein wenig die Beziehung zu ihrer Schwester, der Autorin, die für mich am Rand bleibt. Auch die Autorin selbst hält sich bedeckt, und sie gibt kaum etwas über sich preis.
Unter dem Strich eine literarische Erzählung, einem Bild von Mexiko und einem offen gehaltenen Schluss. Warum die Akte verschwunden ist – schließlich handelt es sich um einen Cold Case, hat sich mir leider nicht erklärt.