Ein stilles Denkmal voller Wucht

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sonnenblumeberlin Avatar

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„Lilianas unvergänglicher Sommer“ ist kein Buch, das man einfach liest und zur Seite legt. Es ist ein Buch, das bleibt. Als Stimme, als Mahnung, als zärtlicher Versuch, das Vergangene nicht verblassen zu lassen. Cristina Rivera Garza hat mit diesem Werk keine klassische Biografie, keinen reinen Roman geschrieben. Stattdessen formt sie ein Mosaik aus Erinnerungen, Dokumenten, Reflexionen, fragmentarisch, aber eindringlich.

Im Mittelpunkt steht ihre Schwester Liliana, eine junge Frau voller Leben, voller Zukunft. Ihr gewaltsamer Tod, ein Femizid, wird von der Autorin nicht nur als persönlicher Verlust, sondern auch als gesellschaftliche Anklage verarbeitet. Rivera Garza nimmt uns mit auf ihre Reise zurück nach Mexiko, wo sie versucht, Antworten zu finden; in alten Akten, in Gesprächen mit Freunden, in Briefen und Tagebuchaufzeichnungen. Dabei entsteht das Porträt einer mutigen, klugen, lebendigen Frau, die aus dem Schweigen herausgeholt wird.

Der Stil ist unkonventionell. Am Anfang brauchte ich etwas Zeit, um mich an die Struktur zu gewöhnen, es fehlen Anführungszeichen, die Erzählebenen wechseln. Doch genau diese formale Offenheit macht das Buch so besonders: Es wirkt wie ein geöffneter Erinnerungsraum, nicht wie eine fertig erzählte Geschichte. Man fühlt sich eingeladen, mitzudenken, mitzufühlen, manchmal auch, mitzuschweigen.

Was mich besonders berührt hat, war der leise, aber bestimmte Ton, mit dem Rivera Garza schreibt. Ihre Wut ist spürbar, aber nie laut. Ihre Trauer ist tief, aber nie sentimental. Dieses Gleichgewicht macht das Buch stark. Auch die Einbindung von Originalmaterialien (Briefe, Gedichte, Fotos) sorgt dafür, dass Liliana nicht zur bloßen Figur wird, sondern als Mensch greifbar bleibt.

Lilianas unvergänglicher Sommer ist ein stilles, literarisch kraftvolles Denkmal für eine verlorene Schwester und ein mutiger Akt des Erinnerns gegen das Vergessen. Ein Buch, das lange nachhallt. 4 von 5 Sternen.