Frauenaufbruch, der swingt

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Berlin, Ende der 1920er Jahre: Es ist die Glanzzeit der Tanzrevue-Girls, der Varietés, der sich emanzipierenden Frauen, doch düster zieht bereits der Nationalsozialismus auf, mit Gewalt gegen Andersdenkende, mit dem Verlust vieler Freiheiten. In diesem Spannungsfeld siedelt Anne Stern ihre Geschichte um die "Lindy Girls"an, eine zusammengewürfelte Truppe von acht Frauen, die von ihrer Choreografin Wally Kaluza zu einer modernen Charlestongruppe geformt werden. Zwei der Tänzerinnen, Alice und Thea, dazu Wally und die Schreibkraft Gila aus einer Zeitungsredaktion werden in den einzelnen Kapiteln näher vorgestellt: ihre Persönlichkeit, ihr jeweiliger familiärer Hintergrund, ihre Probleme, ihre Wünsche an ein eigenständiges Leben, ihre mutigen Ziele. Gleichzeitig wird die eigentliche Handlung - die Entwicklung und die Fortschritte der Tanzgruppe - vorangetrieben.

Die Schnelllebigkeit der "Goldenen Zwanziger" mit neuen Musikrichtungen, motorisiertem Verkehr, Hunger nach Vergnügungen, Drogenabhängigkeit - all das hat die Autorin historisch treffend eingefangen. Zudem hat sie reale Schauplätze - wie das "Nelson Theater" und damals lebende Personen in die Handlung eingebunden, was den Wert der genauen Recherche zeigt. So weit hat mir der Roman wirklich gut gefallen.

Irritierend fand ich es, die Perspektive nicht auf die vier Frauen zu beschränken, sondern ab Kapitel acht auch drei Männer mit ihren Sichtweisen in eigenständigen Abschnitten zu berücksichtigen: Da sind Jo, der Eintänzer, Toni, der sich als Manager in die Tanzgruppe drängt, und schließlich Friedrich, ein junger Straßenbahnschaffner. Dieser Aufbau hat dem Roman nicht gut getan; es hätte völlig ausgereicht, die drei Männer weiterhin in den Frauen-Kapiteln zu erwähnen. Für mich hat die gewählte Form den Spannungsbogen und Lesefluss gestört, und ich war stets froh, wenn eine der Frauen wieder an der Reihe war. Als etwas befremdlich empfand ich es zunächst, dass bei Gila zur Form der Ich-Erzählerin gewechselt wurde, doch die erfrischende Art dieser Schreibkraft mit schriftstellerischen Ambitionen kam dadurch gut zur Geltung.

Mein persönliches Fazit bleibt damit gemischt: Einerseits ist Anne Stern ein Roman von mitreißendem Rhythmus gelungen, andererseits hätte es dem Plot viel besser gestanden, den Fokus deutlicher auf die Frauen zu legen.