Atmosphärischer Thriller

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„Lola“ ist der Debütroman der amerikanischen Schriftstellerin Melissa Scrivner Love, die in der Vergangenheit für eine Reihe von Fernsehserien wie „CSI Miami“ die Drehbücher beigesteuert hat. Ihren Serienhintergrund merkt man auch in diesem Buch, das dem Leser tiefe Einblicke in das Leben und Wirken einer Latino-Gang gewährt, die mit ihren Drogengeschäften ein heruntergekommenes Viertel in Los Angeles kontrolliert.

Während nach außen hin ihr Freund als Boss der Gang gilt, ist es eigentlich Lola, die Protagonistin dieses Romans, die das Sagen hat. Sie verfolgt ehrgeizige Pläne, aber als bei einer Drogenübergabe alles schiefläuft, was nur schieflaufen kann, kommt bald ihre wahre Stellung ans Tageslicht, und sie und ihre Leute geraten ins Fadenkreuz des mexikanischen Kartells, rivalisierender Drogenbanden und der Strafverfolgungsbehörden.

Das Buch wird vom Suhrkamp Verlag als Thriller vermarktet, und darin liegt auch mein Hauptkritikpunkt. Das amerikanische Original trägt die Bezeichnung Novel, was wesentlich zutreffender ist. Im Grunde handelt es sich nämlich um eine Mischung aus Millieustudie, Krimi und Soap-Opera. Wie eine Daily Soap hab ich das Buch auch konsumiert – zwei Kapitel täglich habe ich durchaus gerne gelesen, aber dann verursachte es mir keine Probleme, mich anderen Dingen zu widmen ohne weiter über „Lola“ nachzudenken. Die mitreißende Spannung eines Thrillers, die sich in Rezensionen oft in klischeehaften Phrasen wie „Ich konnte das Buch nicht mehr aus der Hand legen“ widerspiegelt, fehlte hier.

Mit der richtigen Erwartungshaltung gelesen, ist „Lola“ aber ein guter Roman, dem es auch nicht an einer soliden Dosis Spannung mangelt. Es ist der Auftakt einer Reihe, und wie eingangs erwähnt, merkt man den Serienhintergrund der Autorin auch deutlich, die sich ausgiebig Zeit nimmt, ihre Charaktere und das Leben in einem hispanischen Ghetto vorzustellen. Mit Lola hat sie dabei eine faszinierende Antiheldin geschaffen, die einen vielschichtigen Charakter aufweist und der man gerne durch die Geschichte folgt. Auffällig ist, dass der komplette Roman aus ihrer Sicht geschildert ist – weitere Handlungsstränge gibt es nicht. Lola erscheint als nachdenkliche, gefühlvolle Person mit einem hohen Gerechtigkeitsempfinden, die einem ans Herz wächst und das obwohl sie der Boss einer Verbrecherbande ist und wenn nötig nicht zögert, einem anderen Menschen mal eben eine Kugel in den Kopf zu pusten. Geschäft ist halt Geschäft.

"Dein Boss bringt dich um, und danach sucht er nicht weiter nach den Drogen. Bubba geht in Pension. Ende der Geschichte."
"Zwei Millionen hast du gesagt. In Heroin."
"Genau um soviel ging's."

(Zitat Seite 166)

Viele andere Charaktere bleiben in dem Buch dagegen etwas blass. Was mich ein wenig störte, war, dass die Autorin wenig Wert darauf legt, ihre Figuren äußerlich zu beschreiben. Nun sollte ein guter Autor auch nicht jede auftretende Person erst mal vom Scheitel bis zur Sohle skizzieren, aber da vieles andere sehr detailliert wiedergegeben wurde, empfand ich das als auffällig. Der Schreibstil der Autorin ist zuweilen schnörkelhaft, oft schweift sie zu vermeintlichen Belanglosigkeiten ab, die man in einer Daily Soap bringen kann, nicht jedoch unbedingt in einem straighten Thriller erwartet. Da wären wir wieder bei der Erwartungshaltung. Hohen Stellenwert nimmt in dem Roman auch das Verhältnis von Lola zu Lucy ein, einem kleinen Mädchen, das sie bei sich aufnimmt, um es vor ihrer drogensüchtigen Mutter zu schützen, die es für den nächsten Schuss an Perverse verhökert. Dieser Subplot liest sich rührselig, nimmt aber viel Raum ein, mehr als die meisten Privatepisoden in anderen Thrillern zumindest. Die eigentliche Hauptgeschichte ließe sich dafür schnell zusammenfassen: Bis zur Hälfte des Romans ist außer der geplatzten Drogenübergabe noch nicht viel passiert. In der zweiten Hälfte nimmt die Story dann allerdings Fahrt auf und gipfelt in einem wirklich spannenden Finale.

Persönliches Fazit von André: Wer keinen Thriller zum Nägelkauen sucht, sondern sich auf diese Mischung aus Millieustudie, Soap und Krimi einlässt, wird viel Vergnügen mit „Lola“ haben. Der Autorin ist jedenfalls eine tolle Protagonistin gelungen, die man gerne begleitet und die zweifelsohne auch kommende Bücher tragen kann. Da Frau Scrivner Love schlecht anzukreiden ist, wie ihr Buch in Deutschland vermarktet wird, vergebe ich knappe vier Sterne für eine interessante und gut ausgearbeitete Geschichte über eine Latino-Gang in Los Angeles und ihre charismatische Anführerin.

Persönliches Fazit von Daniela: Es werden viele Themen aufgegriffen, die die Realität in den Ghettos von LA widerspiegeln. Junkies, Armut, Drogen, Gangs und Prostitution sind nur einige von ihnen. Genau diese Realität macht aus dieser Geschichte einen spannenden und bedrückenden Spannungsroman.

© Rezension, 2019, André, zweites Fazit Daniela