Jahreshighlight - hochemotional

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nancy0705 Avatar

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Nikola Hotel erzählt in "Lost Girls - Breathing for the First Time" die Geschichte von Darcy Sullivan, welche äußerlich in Luxus lebt: einen Star als Mann, ein Haus am Strand, Status, Bewunderung von außen – doch innerlich ist ihr Leben eingezwängt. Ihr Ehemann, Jason, kontrolliert sie zunehmend: über ihre Ernährung, ihre Kleidung, ihre Kontakte, ihre Bewegung.
Während Darcy sich immer mehr isoliert und überwacht fühlt und kaum noch weiß, wer sie selbst noch ist, beginnt sie, Fluchtpläne zu schmieden. Parallel dazu tritt Ellis in ihr Leben – jemand, der mehr sieht als das Bild, das Darcy nach außen aufrechterhalten muss.
Doch kann sie es schaffen zu fliehen und endlich wieder sie selbst werden?

"Lost Girls - Breathing for the First Time" hat mich insgesamt unglaublich bewegt und mitgenommen. Ich habe so sehr mit Darcy mitgefühlt, dass ich ein ständiges Gefühl von Beklemmung und Unwohlsein hatte. Stellenweise musste ich mich regelrecht zwingen, weiterzulesen, weil es einfach so krass intensiv, bedrückend und emotional war. Gerade dieses „kaum Aushalten-Können“ zeigt für mich aber, wie meisterhaft Nikola Hotel diese Gefühlswelt transportiert hat. Es ist selten, dass mich eine Geschichte so stark körperlich und emotional erreicht.

Nikola Hotel schreibt so, dass man gleichzeitig loslassen und festhalten will. Ihre Sprache ist eindringlich: kurze, präzise Sätze in Momenten der Angst; leicht poetisch in Momenten, in denen Darcy erinnert, träumt oder Hoffnungen spinnt. Besonders gelungen fand ich, dass ich beim Lesen nie das Gefühl hatte, dass künstlich Dramatik erzeugt wird – alles wirkte organisch, echt und tief.

Die Atmosphäre ist aufgrund der Situation Darcys und der Vorkommnisse durchgehend beklemmend – nicht auf Horror oder Extreme angelegt, sondern auf Dauerstress, Isolation und Ohnmacht. Es sind die kleinen Gesten, die den größten Druck erzeugen: ein Blick, der zu lange dauert, eine unerwartete Bemerkung, eine winzige Abweichung von Jasons Regeln. Diese unterschwellige Bedrohung ließ mich nie los. Gleichzeitig gab es seltene, kleine Lichtblicke, zum Beispiel wenn Darcy mit ihrem Hund Cashew am Strand sitzt. Diese Momente fühlten sich an wie Atempausen zwischen zwei Sturmwellen – notwendig, um überhaupt weiterlesen zu können.

Darcy ist eine Protagonistin, die mich sehr bewegt hat. Ich konnte ihre Ängste, ihre Unsicherheit und ihre inneren Kämpfe so nachvollziehen, dass ich stellenweise fast meinte, selbst in ihrer Lage zu sein.
Jason hingegen hat mich mit seiner manipulativen Art zutiefst wütend gemacht. Gerade, weil er nicht als „klassischer Bösewicht“ daherkommt, sondern seine Kontrolle in kleinen, subtilen Handlungen zeigt, war es so bedrückend realistisch.
Ellis und auch Darcys neue Freundinnen waren für mich im Gegensatz dazu ein Hoffnungsschimmer - die mir - und auch Darcy - das Gefühl gaben, dass es einen Ausweg geben könnte.

Das zentrale Thema von psychischer Kontrolle, Manipulation und der Suche nach Freiheit ist schonungslos ehrlich dargestellt. Gerade weil die Autorin nichts beschönigt, hat mich das Buch so getroffen. Es zeigt eindringlich, wie sehr unsichtbare Narben das Leben bestimmen können, und wie schwer es ist, sich daraus zu befreien. Gleichzeitig macht es aber auch Mut: schon kleine Schritte können ein Anfang sein.
Genau dazu hat für mich auch das Ende gepasst, es war nicht perfekt bzw. so, wie man es sich für Darcy vielleicht gewünscht hätte, aber gerade deswegen realistisch. Es wurde auch hier nichts beschönigt und kein „Friede-Freude-Eierkuchen“-Schluss geschaffen. Stattdessen bleibt Raum für Hoffnung, aber eben auch für die Erkenntnis, dass Heilung, Freiheit und Gerechtigkeit ein langer, steiniger Weg sind.

Fazit:

"Lost Girls - Breathing for the First Time" hat mich zutiefst berührt, gefordert und manchmal sogar überfordert. Es war kein leichtes, „schnelles“ Lesen, sondern eine emotionale Achterbahnfahrt, die mich sehr beschäftigt hat. Ich habe mit Darcy gelitten, gehofft und gezittert – und genau diese Nähe zur Protagonistin macht das Buch für mich so besonders. Für mich ist es ganz klar ein absolutes Jahreshighlight – und darüber hinaus eines der besten Bücher, die ich bisher gelesen habe.