In der Wildnis geboren

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theresia626 Avatar

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David Stone, ein englischer Primatenforscher, betreibt in absoluter Abgeschiedenheit im tropischen Regenwald eine Fütterungsstation für Bonobos. Nur in dieser Einöde ist es ihm möglich, wissenschaftliche Experimente an den Bonobos durchzuführen. Der erste Versuch mißlingt, dann wird Lucy geboren und als diese laufen lernt und sich bewegt wie ein Mensch, wird ihm klar, was für einen Fehler er begangen hat. Jahre später bricht wieder ein Bürgerkrieg im Kongo aus, David Stone wird von den Rebellen im Kugelhagel getötet. Jenny Lowe, eine Anthropologin aus einem weiter entfernten Camp findet auf ihrer Flucht als einzige Überlebende die inzwischen 15jährige Lucy und nimmt sie mit nach Amerika. Zwischen beiden entwickelt sich eine liebevolle Beziehung. Jenny erfährt aus den privaten Aufzeichnungen von David Stone, aus welchem Antrieb er diese Experimente durchgeführt hat. Lucy ist ausgesprochen intelligent, die Dinge, die sie in Amerika sieht, kennt sie nur aus Büchern, Katalogen und Lexika. „Diese Bücher waren kleine Fenster aus dem dunklen Urwald in eine strahlende und fremdartige Welt gewesen, …S. 39

„Lucy“ von Laurence Gonzales ist ein außergewöhnliches Buch, eins, das in dem derzeitigen Bücherdschungel aus dem Rahmen fehlt. Es geht zu Herzen, läßt den Leser aber auch nachdenklich werden. Unterschwellig kritisiert der Autor die heutige Wegwerfgesellschaft. Lucy hat gelernt, daß man sparsam mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen umgehen muß, Essen wichtig zum Überleben ist und nicht im Übermaß auf den Tisch muß, am wenigsten etwas davon im Müll zu landen hat. Sie vereint in sich positive Eigenschaften eines Menschen, besitzt aber auch positive Verhaltensformen der Bonobos, wie ihre Liebenswürdigkeit und ihr Wahrnehmungsvermögen. Ihr Gerechtigkeitssinn verursacht Schwierigkeiten auf der High-School und ihre Andersartigkeit bereitet ihr Probleme, sich einzugewöhnen. Sie war es gewohnt, in absoluter Abgeschiedenheit und im Einklang mit der Natur zu leben. Jetzt wird sie buchstäblich von der modernen Welt überrollt. Kann Lucy, nach dem das Bekanntwerden ihrer Herkunft erst eine große Euphorie im ganzen Land ausgelöst hat und später in eine Hetzjagd umschlägt, ihren Weg gehen, ein normales Leben führen oder landet sie da, wofür sie sich am meisten fürchtet, in einem Labor?

„Lucy“ bedeutet eigentlich die Strahlende, bei Tagesanbruch Geborene. Ihr Vater gab ihr diesen Namen, weil er in ihr etwas anderes sah. Für ihn bedeutete der Name „Licht“ „…Du wurdest das Licht meiner Welt.“ S. 428 Es geht im Weiteren um eine zu Herzen gehende Freundschaft zwischen Lucy und Amanda, einer Klassenkameradin, um grenzenlose Selbstlosigkeit, Gutmütigkeit und Intoleranz. Nicht nur für Lucy steht viel auf dem Spiel, auch Jennys Leben gerät komplett durcheinander und ihre Zukunft als Anthropologin steht auf dem Spiel. Der Schreibstil ist einfach ganz toll zu lesen. Hier kommt zu keiner Zeit Langeweile auf, selbst dann nicht, wenn der Autor etwas weiter ausholt und die Zeit in Amerika ausführlicher schildert. Da Lucy in eine ihr unbekannte Welt regelrecht hineingeworfen wird, sind ihre Eindrücke allumfassend. Elektrisches Licht, Rolltreppen, Handys, Flugzeuge, ja eigentlich alles, womit wir uns schon gar nicht mehr beschäftigen, ist Neuland für sie. Lucy, ihre ganze Welt war und ist die Natur, sie kann sich mit den Tieren unterhalten, hört Dinge, die ein Mensch erst wesentlich später wahrnimmt, ist sensibler, empfindlicher und kämpferisch. „Sie selbst hätte sich diese Existenz nicht ausgesucht. Doch sie war auf der Welt.“ S. 356 Der Science-Fiktion Thriller wird für Diskussionsstoff sorgen. Wie würden wir reagieren, sollten Forscher wirklich versuchen, eine neue Spezies zu erschaffen? Ich wurde sehr gut unterhalten und empfehle das Buch gerne weiter.