Dystopia meets Utopia
Die Erde ist unbewohnbar geworden und hat Siedler nach Perm geschickt, zum Mond eines fernen Planeten. Die Siedler erwarten, einen perfekt terraformten Lebensraum vorzufinden - aber als sie ankommen, erleben sie eine böse Überraschung. Was ist schiefgegangen?
Die Geschichte der neuen Siedler wird von dem 12jährigen Henry erzählt. Die zweite Perspektive ist die seiner Mutter Mildred - eine Stimme aus der Vergangenheit. Wie Romangegenwart und -vergangenheit zusammenhängen, ist zunächst völlig unklar – der Autor lässt uns gekonnt durch Henrys Augen schauen, der in eine fremde Welt geworfen wurde und sich orientieren muss.
„Lyneham“ ist zugleich Utopie und Dystopie und bietet neben einer fesselnden Story eine Menge Denkstoff. Die Siedler haben offenbar eine Menge Geheimnisse, die Schritt für Schritt ans Licht kommen. Jede Enthüllung ändert die Situation fundamental und stellt die Figuren vor Entscheidungen in immer neuen Szenarien. Was würde man selbst tun? Ist die instinktive menschliche Handlungspräferenz, das eigene Leben und das der Nachkommen an die erste Stelle zu setzen, moralisch vertretbar? Oder müssen die Siedler sich fundamental wandeln, um das Szenario auf der Erde nicht zu wiederholen?
Was auf Perm geschieht, ist auf vielen Ebenen so ungeheuerlich, dass ich beim Lesen öfter mal nach Luft geschnappt habe. Am Ende hatte sich mein Blick auf die Figuren ebenso wie meine Sicht auf die Problematik komplett gewandelt. Westerboer hat sich eine ziemlich krasse Story mit steilen Thesen einfallen lassen, die allem Extrem zum Trotz doch überzeugen. Schlussendlich kam gar so etwas wie Hoffnung auf: Sollte tatsächlich eine Welt möglich sein, deren Evolution nicht auf Fressen und Gefressenwerden beruht?
Bei aller Schwere der aufgeworfenen Fragen bietet der Roman immer wieder auch schräge Ideen, die mich zum Lachen gebracht haben, wie Ronny, eine sprechende Exo-Niere, die als Freundesersatz des kindlichen Erzählers dient, oder Frau Strom, eine intelligente (Tunnel-)Bohrmaschine, die nun als Lehrerin der Kinder fungiert.
Insgesamt ist menschliches wie nichtmenschliches Personal dem Autor kongenial gelungen. Mit Mildred hat er eine der unkonventionellsten Frauenfiguren geschaffen, der ich zwischen zwei Buchdeckeln begegnet bin. Bei mir durchlief sie alle Phasen zwischen totaler Identifikation und entsetzter Ablehnung und wieder zurück, ohne dabei an Glaubwürdigkeit zu verlieren; ein Meisterstück der Figurenzeichnung. Aber nicht nur Mildred, alle Figuren des Romans besitzen Originalität und Tiefe – die Kinderperspektiven sind Westerboer ebenso überzeugend gelungen wie die von Mildreds Gegenspieler Noah (kleine Anspielung auf die Arche), dem schillernden Anführer der kleinen Siedlerschar.
„Lyneham“ räumt gründlich mit dem Narrativ von Elon Musk und seiner Mars Society auf, nach dem wir einfach umziehen, wenn wir die Erde ruiniert haben. Aber so einfach ist das nicht; auf keinem bekannten Planeten könnten Menschen ohne High Tech überleben – sofern sie die neue Heimat wirklich verstanden haben. Mit dem beispielhaften Perm hat der Autor eine Welt geschaffen, so komplex und gefährlich, so schrecklich schön, bizarr und in sich schlüssig, dass ich im Geiste ständig Fotos seiner phantastischen Landschaften gemacht habe. Permanentes intensives Kopfkino – vergesst Pandora, Perm toppt es locker. World Building vom Feinsten.
Fazit: Ein spannender Genreroman auf höchstem Niveau, enorm filmisch, voller Hirnfutter und verblüffender Wendungen, der auch sprachlich den literarischen Vergleich nicht scheuen muss. Begeisterte Empfehlung!
Die Geschichte der neuen Siedler wird von dem 12jährigen Henry erzählt. Die zweite Perspektive ist die seiner Mutter Mildred - eine Stimme aus der Vergangenheit. Wie Romangegenwart und -vergangenheit zusammenhängen, ist zunächst völlig unklar – der Autor lässt uns gekonnt durch Henrys Augen schauen, der in eine fremde Welt geworfen wurde und sich orientieren muss.
„Lyneham“ ist zugleich Utopie und Dystopie und bietet neben einer fesselnden Story eine Menge Denkstoff. Die Siedler haben offenbar eine Menge Geheimnisse, die Schritt für Schritt ans Licht kommen. Jede Enthüllung ändert die Situation fundamental und stellt die Figuren vor Entscheidungen in immer neuen Szenarien. Was würde man selbst tun? Ist die instinktive menschliche Handlungspräferenz, das eigene Leben und das der Nachkommen an die erste Stelle zu setzen, moralisch vertretbar? Oder müssen die Siedler sich fundamental wandeln, um das Szenario auf der Erde nicht zu wiederholen?
Was auf Perm geschieht, ist auf vielen Ebenen so ungeheuerlich, dass ich beim Lesen öfter mal nach Luft geschnappt habe. Am Ende hatte sich mein Blick auf die Figuren ebenso wie meine Sicht auf die Problematik komplett gewandelt. Westerboer hat sich eine ziemlich krasse Story mit steilen Thesen einfallen lassen, die allem Extrem zum Trotz doch überzeugen. Schlussendlich kam gar so etwas wie Hoffnung auf: Sollte tatsächlich eine Welt möglich sein, deren Evolution nicht auf Fressen und Gefressenwerden beruht?
Bei aller Schwere der aufgeworfenen Fragen bietet der Roman immer wieder auch schräge Ideen, die mich zum Lachen gebracht haben, wie Ronny, eine sprechende Exo-Niere, die als Freundesersatz des kindlichen Erzählers dient, oder Frau Strom, eine intelligente (Tunnel-)Bohrmaschine, die nun als Lehrerin der Kinder fungiert.
Insgesamt ist menschliches wie nichtmenschliches Personal dem Autor kongenial gelungen. Mit Mildred hat er eine der unkonventionellsten Frauenfiguren geschaffen, der ich zwischen zwei Buchdeckeln begegnet bin. Bei mir durchlief sie alle Phasen zwischen totaler Identifikation und entsetzter Ablehnung und wieder zurück, ohne dabei an Glaubwürdigkeit zu verlieren; ein Meisterstück der Figurenzeichnung. Aber nicht nur Mildred, alle Figuren des Romans besitzen Originalität und Tiefe – die Kinderperspektiven sind Westerboer ebenso überzeugend gelungen wie die von Mildreds Gegenspieler Noah (kleine Anspielung auf die Arche), dem schillernden Anführer der kleinen Siedlerschar.
„Lyneham“ räumt gründlich mit dem Narrativ von Elon Musk und seiner Mars Society auf, nach dem wir einfach umziehen, wenn wir die Erde ruiniert haben. Aber so einfach ist das nicht; auf keinem bekannten Planeten könnten Menschen ohne High Tech überleben – sofern sie die neue Heimat wirklich verstanden haben. Mit dem beispielhaften Perm hat der Autor eine Welt geschaffen, so komplex und gefährlich, so schrecklich schön, bizarr und in sich schlüssig, dass ich im Geiste ständig Fotos seiner phantastischen Landschaften gemacht habe. Permanentes intensives Kopfkino – vergesst Pandora, Perm toppt es locker. World Building vom Feinsten.
Fazit: Ein spannender Genreroman auf höchstem Niveau, enorm filmisch, voller Hirnfutter und verblüffender Wendungen, der auch sprachlich den literarischen Vergleich nicht scheuen muss. Begeisterte Empfehlung!