Das Schicksal des Opfers

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Liv führt scheinbar das perfekte Leben. Sie ist Pflegerin und hat zwei Kinder, um die sie sich gemeinsam mit ihrem Partner kümmert. Sie lebt in einem schönen Haus und kennt keine Geldsorgen. Doch da ist die Tat, die in Livs Vergangenheit liegt. Lange will sie es sich nicht eingestehen, obwohl sie in einer Notfallambulanz war. Sie will auch das Wort nicht aussprechen: Vergewaltigung. Sie will ihm keinen Raum geben, nur gelingt es nicht. Immer wieder wird sie darauf gestoßen. Sie ist Eine von Zehn. Sie kann die Gedanken, die immerzu darum kreisen, nicht abstellen.
Als ein Mann, der der Vergewaltigung beschuldigt wurde, in ihr Berufsleben tritt, bricht die so sorgfältig fabrizierte und gepflegte Fassade auf und Liv gerät ins Trudeln. Sie stellt sich dem Verbrechen, das an ihr verübt wurde und das ihr ganzes Leben prägt.
„Macht“ von Heidi Furre handelt von einem Thema, das oft unter den Teppich gekehrt wird. Sie zeigt auf, wie sehr und vor allem unterbewusst eine solche Tat das Opfer beeinflusst und über lange Zeit mürbe machen kann. Es ist ein wichtiges Thema und so empfinde ich auch solche Bücher als enorm wichtig, trotzdem bin ich mit dem Roman und der Aufarbeitung nicht warm geworden. Als ich endlich dachte, ich hätte einen Zugang zu Liv gefunden, hab ich ihn auch schon wieder verloren. Manches war mir zu wirr und es kreiste ausschließlich darum, dass sie kein Opfer sein will, worüber sie sich aber zu definieren schien. Es wurde zusehends anstrengender und ich habe viele ihrer Handlungen nicht nachvollziehen können - sie waren mir zu widersprüchlich.
Natürlich weiß ich, dass Menschen, die Opfer wurden, unterschiedlich reagieren und verarbeiten, aber als Protagonistin hat Liv für mich zu wenig Substanz, was ich sehr schade finde, denn wie gesagt, finde ich das Thema außerordentlich wichtig und die Sicht der Opfer wird zu oft hinten an gestellt. Sprachlich war es gut, aber das hat nicht ausgereicht, um mich langfristig zu fesseln. Ich habe leider mehr erwartet.