Die Stimme des Opfers - unschnörkelig schonungslos

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herr_rabowski Avatar

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Keine schöne Geschichte, umso wichtiger ist das Thema, denn es ist die Stimme einer vergewaltigten Frau. Pausen gab es für mich einige, um den Inhalt der Worte und die darauf transportierten Gefühle einordnen zu können. Auch im Nachgang beschäftigen manche Teile mich weiter.

Liv, verheiratet und Mutter zweier Kinder, trägt ein schweres Geheimnis in sich. Nach außen meistert sie ihren Alltag, wie jede andere Mutter auch. Doch da ist etwas, das unterscheidet sie von Anderen. Es gab einen Tag, da hat sie jemand der Macht über sich selbst beraubt. Seither fühlt sie sich in vielen Teilen ihres Lebens ohnmächtig.
Liv lässt uns an den Dingen ihres Alltags teilhaben. Die Erzählung ist nicht chronologisch. Die Gedanken und Empfindungen strömen aus der Protagonistin heraus. Sie brechen aus dem Tiefsten ihres Seins hervor, quälen sie, lassen nicht los. Immer wieder versucht sie Macht zurückzuerlangen, über ihre Gedanken und die Reaktionen ihres Körpers. Sie möchte ein Leben ohne den Makel. Und so überwindet Liv sich und öffnet sich ihrem Mann und einer Freundin.

Der eigentliche Akte der Vergewaltigung ist nicht Teil des Buches. Und das ist auch gut so. Es geht um das Danach, das was sich viele Jahre später noch in Verhaltensweisen eingenistet hat und täglicher Begleiter im Leben des Opfers ist. Wie plötzliche Unsicherheiten den Boden unter den Füßen wegreißen, bevor überhaupt ins Bewusstsein dringt, was sie getriggert hat. Die Autorin nennt es den Werwolf. Einmal gebissen, lauert der Parasit ständig auszubrechen. Die permanente Selbstkontrolle und der Versuch, Auslöser zu umgehen, sich selbst das Gefühl von Sicherheit zu geben, bestimmen seit dem Tag, an dem es geschah, Livs Leben. Sie will das alles nicht. Zur Anzeige hat sie den Vorfall nie gebracht, aus Unsicherheit. Sie fragt sich, ob sie die Vergewaltigung sogar selbst herbeigeführt hat, ob sie wirklich nein gesagt hat.
Wenigstens ihr Äußeres soll perfekt erscheinen. Niemand soll merken, was ihr widerfahren ist. Sie will kein Opfer sein und doch wird sie Zeit ihres Lebens gezeichnet sein. Sie ist eine von zehn Frauen, die dieses Schicksal in Norwegen ereilt.

Ein thematisch wichtiges Buch, das sich ausschließlich und auf sehr eindrucksvolle Weise mit dem Opfer beschäftigt. Es sollte viel mehr davon geben. Heidi Furre wählt unschnörkelige Worte. Die Erzählungen aus dem Alltag wirken oft emotionsgeladen und doch nüchtern.
Mir hat das sehr gefallen. Auch das Buchcover der im Inneren Zerbrochenen, die eigentlich eine Schönheit in zartrosa ist, finde ich absolut treffend.