Frauen, Familie und Fügung

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Annika Reich erzählt in ihrem Roman „Männer sterben bei uns nicht“ die Geschichte einer Familie, die versucht einen patriarchalen Status, beinahe eine Herrschaft über ein großes Anwesen am See und über alle Familienmitglieder aufrecht zu erhalten - koste es, was es wolle- Hauptsache ohne die Männer der Familie.
Das Anwesen umfasst fünf Häuser, eines wird von der Großmutter bewohnt, eines an den Wochenenden von deren Tochter Marianna und Enkeltochter Olga, eines von der Schwiegertochter und deren Töchtern Leni und Luise, das andere von Großmutter Vera, das fünfte Haus steht leer, ist stets abgeschlossen und die rätselhafte Großmutter richtet es mit diversen „männlichen Gegenständen“ ein.

Erzählt wird das Ganze aus Sicht der Enkelin Luise, Mitglied der jüngsten Generation der Familie und Lieblingsspross der über alles herrschenden unerschütterlichen Großmutter.
Luise, die ihr Leben lang einerseits durch die Bevorzugung und die damit verbundene besondere Fürsorge ihrer Großmutter profitiert hat , gleichzeitig aber auch spürt, Dass sie deshalb von den anderen Familienmitgliedern gemieden und von ihrer Großmutter als „die Erbin“ instrumentalisiert wurde - reflektiert anlässlich des Todes ihrer Großmutter, auf verschiedenen Zeitebenen die Familiengeschichte und – geheimnisse der Frauen.

Annika Reich beschreibt die Szenen in denen Luise ein Kind ist, atmosphärisch dicht, man spürt, schmeckt und erlebt diese Abschnitte förmlich mit der Ich-Erzählerin Luise - während die Abschnitte der erwachsenen Luise eher nebulös und flach bleiben.
Es ist eine schillernde, aber auch rätselhafte Welt, eine besondere Großmutter - Enkeltochter-Geschichte , aber Reichs Frauenfiguren polarisieren. Am liebsten würde man mit ihnen auf dem Anwesen leben, aber andererseits fragt man sich wozu das ganze Schweigen und Verschweigen - nur um den Schein zu wahren? Vieles bleibt für die ich-Erzählerin im Dunkeln, wichtige Familienereignisse erfährt sie erst am Grab der Großmutter. Warum war die Abschiebung der unfolgsamen Schwester Leni notwendig? Warum verbannt die Großmutter, sowohl ihre tote, als auch ihre lebende Schwester? Warum sind die Männer nicht da - nicht mal zu Besuch? Woher kommt das ganze Geld? Gab es Verbindungen zum Nationalsozialismus?
Dies alles lässt die Autorin offen und man muss sich die Fragen selbst beantworten. Nicht offen lässt sie allerdings die Tatsache, wie schwer emotionales Erbe wiegen, wie einfach Macht missbraucht werden kann und wie wir uns so leicht unseren zugedachten Rollen fügen, ohne zu hinterfragen.
Der Roman hallt nach, gerade weil nicht alle Fragen beantwortet werden, besonders über die Frauen der zweiten und dritten Generation wünscht man sich mehr zu erfahren. Und er regt zum Nachdenken an - über an Bedingungen und Erwartungen geknüpfte Liebe in Familien, über das emotionale Erbe über Generationen hinweg und vor allem wie wir dem gewahr werden können.
Eine aufweckende Lektüre für alle, die gerne Familienromane lesen.