Toxische Frauendynastie, deren Darstellung mich fasziniert

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Vorweg sei bemerkt, dieses Buch habe ich zweimal gelesen, bevor ich es einschätzen kann. Angetrieben durch eine magische Fesselung an die bedrückende Stimmung, welche der Roman bei mir zurück ließ, blätterte ich sofort von Seite 204 zurück zum Anfang und begann erneut suchend zu lesen. Ich wollte besser verstehen, aufklären oder erfassen, konnte dies jedoch nur begrenzt. Nun blicke ich mit einem Kloß im Bauch auf eine latent paternalistische Beziehungskultur, toxische Weiblichkeit und verborgene Misandrie, die Annika Reich in ihrem Buch „Männer sterben bei uns nicht“ konstruiert.

Luise ist in den Dreißigern, als ihre Großmutter stirbt. Anlässlich der Beerdigung treffen sich die Frauen wieder, die man gemeinhin als Verwandtschaft bezeichnen würde, die Großmutter geringschätzte und gar aussortierte. In Rückblenden, die jeweils einen Ankerpunkt im angrenzenden Kapitel haben, schildert Luise Bruchstücke ihrer Erinnerungen und Beziehungen. Dazu gehört immer wieder die Erwähnung, Luise habe als Kind zweimal eine tote Frau im angrenzenden See gefunden. Ebenso wird immer wieder deutlich, dass Luise in der großmütterlichen Dynastie bevorteilt und das Anwesen erben wird. Dieses Anwesen prägt Großmutters Wesen, ihr Handeln und Steuern. Sie wird zusammen mit dem Anwesen zum Kern der Familie, eher einer Dynastie von Frauen. Eine „Großmutter“, für die „das Wahren der Form immer die Lösung für alles gewesen ist - Beziehungen, Stil, Gartengestaltung, Vergangenheitsbewältigung.“ Das führt dazu, dass in dieser Familie Gefühle vermieden werden, sie einsam machen, besiegt oder verkleidet oder betäubt werden müssen. Jede hat ihre Strategie, mit Großmutters Geringschätzung umzugehen. Männer werden frühzeitig entfernt, ignoriert oder sie fliehen, finden nur - wenn überhaupt - in Erinnerungen Platz, werden aber zum Schein von Großmutter immer mitgedacht. Zum Sterben und damit zu einem wirklich wichtigen Beitrag zur Welt, kommt es nur bei Frauen.

Das Buch ist in einem kunstvollen Stil geschrieben, der poetisch und zum Teil malerisch durch einen eher schwachen Plot führt. Es wird ein Schmetterling verscheucht wie eine schlechte Idee, Häuser schweigen und die Familie muss getrimmt werden wie ein Japanischer Garten. Solch anmutige stilistische Mittel, Allegorien und Metaphern nehmen mich mit der latent bedrückenden Stimmung in einen Bann.

Ich gebe eine Leseempfehlung für Freundinnen und Freunde poetischer Sprache, die sich gern in Stimmungen hingeben und auch mit offenen Fragen zurückbleiben können.