Zerstörtes Urvertrauen

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Das Stillleben des Covers mit dem Verfall und der Vergänglichkeit des einstmals Schönen hatte mich sehr angesprochen, ebenso die verheißungsvolle Leseprobe: Wirklich eingelöst wurde meine Erwartung nicht, dazu muss ich zu sehr im Spekulativen bleiben.

Erzählt wird aus Sicht der etwa dreißigjährigen Luise, die bei der Beerdigung ihrer alles dominierenden Großmutter die übrigen Familienmitglieder wiedertrifft, ausnahmslos Frauen. Von hier ausgehend nutzt die Autorin verschiedene Rückblenden in die Kindheit und jüngere Vergangenheit der Protagonistin.

Dreh- und Angelpunkt des Geschehens ist ein großzügiges Anwesen am See. Dort wächst Luise auf, unter Frauen der Familie und einer Angestellten. Männer existieren nur außerhalb dieses geschlossenen Mikrokosmos, bleiben vage wie die gesamte Außenwelt. Alles außerhalb wird gering geschätzt, wie die beiden toten Frauen, die Luise als Kind im Wasser findet; sie gehören nicht dazu, taugen nichts, haben nichts erreicht, sind nichts wert. Ebenso wie Luises Schwester Leni, die vom vorgegebenen Weg abweicht und deshalb aufs Internat geschickt wird.

Luise hingegen fügt sich in diese von der Großmutter beherrschte kleine Welt, will ihr alles recht machen und sich damit würdig für deren Nachfolge erweisen. Luise erscheint nicht gefestigt als Persönlichkeit, sie kennt ihre Bedürfnisse nicht, weiß nicht, was sie sich wünscht, misstraut ständig ihren Erinnerungen und kann kein Vertrauen zu sich selbst aufbauen. Immer wieder zieht sie alles in Zweifel, was kurz zuvor noch sicher erschien.

Luise leidet unter ihrem zerstörten Urvertrauen. Ob sie aus dem dichten Spinnennetz des familiären Erbes herausfindet, bleibt für mich - trotz ihres in die Zukunft weisenden "Schlussworts" - ungewiss.