Anni und Tristan – Zwillinge fühlen sich auch in der Ferne verbunden
Sarah Höflich hat mich mit ihrem Roman überrascht und begeistert. Ich weiß viel über die Nazizeit, den Holocaust, den Krieg, die Nachkriegsjahre, habe selbst für eigene Bücher recherchiert und kann hier bestätigen, dass die Autorin an Wahrhaftigkeit und Ehrlichkeit, an Empathie und beim Erzählen einer tragischen Familiengeschichte dem Leser nichts erspart. Eben aus meinen eigenen Erfahrungen zum Thema empfinde ich alle Ereignisse und die psychischen Belastungen als echt und unverfälscht. Es gibt tatsächlich die unwahrscheinlichsten Zufälle, die in diesen schwarzen Jahren des 20. Jahrhunderts von den Menschen erlebt wurden.
Erzählt wird die Familiengeschichte der Baumgartners, einer bürgerlichen Familie, die in Dresden auch im Krieg noch verhältnismäßig gut leben kann, ihren Ältesten aber schon an den Krieg verloren hat. Die Zwillinge Anni und Tristan, zwei die im Inneren zusammengeschweißt sind fürs Leben, versuchen diesen Krieg zu überleben, jeder auf seine Art und jeder mit furchtbaren Erlebnissen. Anni ist 1944 frisch verheiratet mit Fritz Angerer, ihrer großen Jugendliebe, und erwartet ein Kind, Tristan ist Bomberpilot am Ärmelkanal. Der Roman unterteilt sich in Kapitel, die jeweils von einem der beider erzählen und sie begleiten, Anni und ihr Baby Clara durch die Bombennächte von Dresden, Tristan durch die Hölle des Abschusses und der Kriegsgefangenschaft. Und dann ist da noch Adam, der begnadete Geiger und Halbjude, der von Annis Vater wider besseres Wissen, ohne Rücksicht auf sich selbst oder die Familie, versteckt und so gerettet wird. Anni aber verliert dadurch erst den geliebten Vater, dann auch die Mutter. Wie sie mit Adam zusammen dem Inferno Dresdens entkommt, ist eine sehr berührende Geschichte. Mehr will ich zum Inhalt aber nicht schreiben, die Spannung wuchs bei mir jedenfalls von Seite zu Seite.
Sarah Höflich hat in diesem zweiten Roman, nach „Heimatsterben“, einen Schreibstil gefunden, der sehr gut lesbar ist, ohne Schnörkel, ohne abgehackte Sätze auskommt und mich bei Weitem mehr gefesselt hat.
Besonders der Konflikt den Tristan erlebt, der als deutscher Kriegsgefangener in England dem Hass seiner (ehemaligen) Feinde ausgesetzt ist, aber auch Empathie und Solidarität erlebt, sogar Liebe, das ist sehr berührend. Mich lässt es an den gegenwärtigen Krieg in der Ukraine denken, an die Feindschaften und den abgrundtiefen Hass, der Jahrzehnte, wenn nicht ein Jahrhundert dauern wird, ehe er sich auf beiden Seiten vielleicht wieder abschwächt. Mir wird das insbesondere dann bewusst, wenn ich zum Beispiel in Frankreich oder Polen im Urlaub bin, es gibt zwar keine offene Ablehnung der Deutschen, das würde der Tourismusbranche sicher nicht gut zu Gesicht stehen, aber jenseits der touristischen Pfade, bei Unterhaltungen mit Landsleuten werden die Ressentiments immer wieder deutlich. Wie muss es da erst kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gewesen sein, als alle Wunden noch offen waren? Das Vernarben dauert sehr lange.
Die andere Problematik ist der Hass, die Abneigung und Ausgrenzung von Adam, der im Roman der zurückhaltendste Protagonist ist. In sich gekehrt, vorsichtig und feinfühlig, aber auch todesmutig kümmert er sich um Anni und die kleine Clara. Und wieder kommen mir auch hier Gedanken an das Heute, den aufschäumenden Antisemismus seit dem 7. Oktober 2023, der für viele Juden den Tod bracht, einige sind noch immer Hamasgeiseln und vom Tode bedroht, anderen ist die Welt auf den Kopf gestellt worden. Die sogenannte deutsche „Staatsräson“ hat aus meiner Sicht einen tiefen Riss bekommen, wenn die Täter mehr unterstützt werden als die Opfer, wenn Universitäten und Hochschulen zulassen, dass jüdische Studenten ausgegrenzt, geschlagen und verletzt werden, aber gleichzeitig Pro-Palästina-Demos und -Camps unterstützt werden. Das jüdische Volk wird diese Haltung nicht vergessen, so wie nach 1945 auch der Holocaust nicht vergessen werden konnte. Manches ist niemals aus und vorbei.
Gut gefallen haben mir die historischen Überblicke über die jeweiligen Zeitabschnitte 1944, Februar 1945 bis hin zum Sommer 1947. Ich glaube, dass der Roman für jüngere als mich ein guter Einstieg sein kann, wenn etwa der Geschichtsunterricht lange her ist oder die Themen gar nicht behandelt wurden. Mit dieser Faktenklammer, die immer vom persönlichen Erlebnis des Romanteils beendet wird, werden die Probleme von Anni, Tristan, Adam und ihren Familien auf eine gemeinsame Ebene gestellt.
Der hervorragend gelungene Schutzumschlag würde mich im Buchladen sofort einfangen, auch die Typografie gefällt mir gut. Die Aldus Nova als Schrift ist sehr gut lesbar, einzig die Briefe, die sich mit ihrer Schreibschrift vom Text abheben sollen, sind nicht ganz gelungen. Besonders die fette (für Tristans Schreiben) liest sich schlecht, die feine Variante (für Annis) ist etwas augenfreundlicher. Wären alle Briefe in etwas größerer Schriftgröße gesetzt, wäre es angenehmer, zumindest für mich als Brillenträger. Was mich aber sehr gefreut hat, ist das graue Lesebändchen, das die Farbe der Blüten auf dem Umschlag wieder aufnimmt und einen schönen Kontrast zum Orange des Bucheinbandes wie des Umschlags bildet.
Am Ende des Romans angekommen hatte ich nun einen Gedanken, den ich der Autorin ans Herz legen möchte: Dieser Roman schreit förmlich nach einem Folgeband! Was wird im Laufe der Jahre aus Anni, Clara, Tristan, Rosalie, Fritz, Adam oder Jonathan und ihren Verwandten und Freunden? Können sie das Erlebte und Erlittene hinter sich lassen und ein ganz neues Leben leben? So sehr sind mir die Protagonisten ans Herz gewachsen, dass ich fast vergessen konnte, dass sie einem Roman entsprungen, dass die Personen fiktional sind.
Fazit: ein Roman, der sich mit der deutschen Geschichte und ihren tragischen Auswirkungen auf jeden einzelnen Menschen auseinandersetzt, und das in einer fesselnden und Mut machenden Art, die man selten findet. Unbedingt 5 Sterne!
Erzählt wird die Familiengeschichte der Baumgartners, einer bürgerlichen Familie, die in Dresden auch im Krieg noch verhältnismäßig gut leben kann, ihren Ältesten aber schon an den Krieg verloren hat. Die Zwillinge Anni und Tristan, zwei die im Inneren zusammengeschweißt sind fürs Leben, versuchen diesen Krieg zu überleben, jeder auf seine Art und jeder mit furchtbaren Erlebnissen. Anni ist 1944 frisch verheiratet mit Fritz Angerer, ihrer großen Jugendliebe, und erwartet ein Kind, Tristan ist Bomberpilot am Ärmelkanal. Der Roman unterteilt sich in Kapitel, die jeweils von einem der beider erzählen und sie begleiten, Anni und ihr Baby Clara durch die Bombennächte von Dresden, Tristan durch die Hölle des Abschusses und der Kriegsgefangenschaft. Und dann ist da noch Adam, der begnadete Geiger und Halbjude, der von Annis Vater wider besseres Wissen, ohne Rücksicht auf sich selbst oder die Familie, versteckt und so gerettet wird. Anni aber verliert dadurch erst den geliebten Vater, dann auch die Mutter. Wie sie mit Adam zusammen dem Inferno Dresdens entkommt, ist eine sehr berührende Geschichte. Mehr will ich zum Inhalt aber nicht schreiben, die Spannung wuchs bei mir jedenfalls von Seite zu Seite.
Sarah Höflich hat in diesem zweiten Roman, nach „Heimatsterben“, einen Schreibstil gefunden, der sehr gut lesbar ist, ohne Schnörkel, ohne abgehackte Sätze auskommt und mich bei Weitem mehr gefesselt hat.
Besonders der Konflikt den Tristan erlebt, der als deutscher Kriegsgefangener in England dem Hass seiner (ehemaligen) Feinde ausgesetzt ist, aber auch Empathie und Solidarität erlebt, sogar Liebe, das ist sehr berührend. Mich lässt es an den gegenwärtigen Krieg in der Ukraine denken, an die Feindschaften und den abgrundtiefen Hass, der Jahrzehnte, wenn nicht ein Jahrhundert dauern wird, ehe er sich auf beiden Seiten vielleicht wieder abschwächt. Mir wird das insbesondere dann bewusst, wenn ich zum Beispiel in Frankreich oder Polen im Urlaub bin, es gibt zwar keine offene Ablehnung der Deutschen, das würde der Tourismusbranche sicher nicht gut zu Gesicht stehen, aber jenseits der touristischen Pfade, bei Unterhaltungen mit Landsleuten werden die Ressentiments immer wieder deutlich. Wie muss es da erst kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gewesen sein, als alle Wunden noch offen waren? Das Vernarben dauert sehr lange.
Die andere Problematik ist der Hass, die Abneigung und Ausgrenzung von Adam, der im Roman der zurückhaltendste Protagonist ist. In sich gekehrt, vorsichtig und feinfühlig, aber auch todesmutig kümmert er sich um Anni und die kleine Clara. Und wieder kommen mir auch hier Gedanken an das Heute, den aufschäumenden Antisemismus seit dem 7. Oktober 2023, der für viele Juden den Tod bracht, einige sind noch immer Hamasgeiseln und vom Tode bedroht, anderen ist die Welt auf den Kopf gestellt worden. Die sogenannte deutsche „Staatsräson“ hat aus meiner Sicht einen tiefen Riss bekommen, wenn die Täter mehr unterstützt werden als die Opfer, wenn Universitäten und Hochschulen zulassen, dass jüdische Studenten ausgegrenzt, geschlagen und verletzt werden, aber gleichzeitig Pro-Palästina-Demos und -Camps unterstützt werden. Das jüdische Volk wird diese Haltung nicht vergessen, so wie nach 1945 auch der Holocaust nicht vergessen werden konnte. Manches ist niemals aus und vorbei.
Gut gefallen haben mir die historischen Überblicke über die jeweiligen Zeitabschnitte 1944, Februar 1945 bis hin zum Sommer 1947. Ich glaube, dass der Roman für jüngere als mich ein guter Einstieg sein kann, wenn etwa der Geschichtsunterricht lange her ist oder die Themen gar nicht behandelt wurden. Mit dieser Faktenklammer, die immer vom persönlichen Erlebnis des Romanteils beendet wird, werden die Probleme von Anni, Tristan, Adam und ihren Familien auf eine gemeinsame Ebene gestellt.
Der hervorragend gelungene Schutzumschlag würde mich im Buchladen sofort einfangen, auch die Typografie gefällt mir gut. Die Aldus Nova als Schrift ist sehr gut lesbar, einzig die Briefe, die sich mit ihrer Schreibschrift vom Text abheben sollen, sind nicht ganz gelungen. Besonders die fette (für Tristans Schreiben) liest sich schlecht, die feine Variante (für Annis) ist etwas augenfreundlicher. Wären alle Briefe in etwas größerer Schriftgröße gesetzt, wäre es angenehmer, zumindest für mich als Brillenträger. Was mich aber sehr gefreut hat, ist das graue Lesebändchen, das die Farbe der Blüten auf dem Umschlag wieder aufnimmt und einen schönen Kontrast zum Orange des Bucheinbandes wie des Umschlags bildet.
Am Ende des Romans angekommen hatte ich nun einen Gedanken, den ich der Autorin ans Herz legen möchte: Dieser Roman schreit förmlich nach einem Folgeband! Was wird im Laufe der Jahre aus Anni, Clara, Tristan, Rosalie, Fritz, Adam oder Jonathan und ihren Verwandten und Freunden? Können sie das Erlebte und Erlittene hinter sich lassen und ein ganz neues Leben leben? So sehr sind mir die Protagonisten ans Herz gewachsen, dass ich fast vergessen konnte, dass sie einem Roman entsprungen, dass die Personen fiktional sind.
Fazit: ein Roman, der sich mit der deutschen Geschichte und ihren tragischen Auswirkungen auf jeden einzelnen Menschen auseinandersetzt, und das in einer fesselnden und Mut machenden Art, die man selten findet. Unbedingt 5 Sterne!