Eine unfassbar bewegende Geschichte, die man gelesen haben MUSS!!!!

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kascha Avatar

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„Maikäferjahre“ ist ein sehr bewegender Roman, der nicht nur vom Ende des Zweiten Weltkriegs berichtet, sondern auch vom Anfang einer neuen Zeit – einer Zeit, in der Liebe, Schuld, Verlust und Hoffnung in immer neuen Konstellationen aufeinanderprallen. Sarah Höflich gelingt es dabei auf sehr besondere Weise, Geschichte tatsächlich greifbar zu machen. Diese Geschichte ist keine trockene Chronologie der Ereignisse, wie es sie schon unzählige Male gibt, sondern eine Reise durch gelebte Erfahrungen (hauptsächlich) vier junger Menschen, deren Leben durch Krieg, Flucht und der Konfrontation mit allem, was daran gebunden ist, verändert wird. Und das auf unvorstellbar radikale Weise.
Im Mittelpunkt stehen Anni und ihr Zwillingsbruder Tristan – zwei junge Erwachsene, die im Frühjahr 1945 vor den Trümmern ihres bisherigen Lebens stehen. Anni, womöglich frisch verwitwet und Mutter einer kleinen Tochter, flieht aus dem zerbombten Dresden. An ihrer Seite: der halbjüdische Geiger Adam, für den sie Tag für Tag mehr Liebe empfindet – obwohl ihre Verbindung von Anfang an belastet ist. Denn Adam lebt mit der Bürde der Verfolgung und einem tiefen Misstrauen, das selbst nach dem offiziellen Ende des Krieges nicht endet. Ihre Beziehung ist zart, aber ständig gefährdet – nicht nur durch äußere Umstände, sondern auch durch die inneren Wunden, die sie beide mit sich tragen.
Tristan hingegen, ein junger Luftwaffenpilot, gerät in englische Kriegsgefangenschaft und trifft dort auf Rosalie, eine britische Krankenschwester. Zwischen den beiden entsteht eine Liebe, die eigentlich nicht sein darf – zu tief sitzen die nationalen und persönlichen Verletzungen, zu groß ist das gegenseitige Unverständnis beider Völker. Aber gerade mit dieser Grenzen überwindenden Liebe zeigt Höflich, wie sich zwischen den Trümmern der Vergangenheit neuer Boden bereiten kann, auf dem die Zukunft gedeihen wird. Und zwar nur dann, wenn beide Seiten bereit sind, sich ihren Vorurteilen, ihrer Angst und ihrer Vergangenheit zu stellen. Das ist etwas, das wir von den Protagonist:innen lernen können und jeden Tag aufs Neue besser machen können.
Was „Maikäferjahre“ so besonders macht, ist die Art, wie Sarah Höflich Geschichte nicht von außen betrachtet, sondern von innen her erzählt. Ihre Figuren sind keine Abziehbilder historischer Rollen – sie sind Menschen mit Widersprüchen, Sehnsüchten, Angst und einer ganzen Menge Mut im Herzen. Sie lieben, trauern, hassen, hoffen – und manchmal verlieren sie sich selbst auf dem Weg zu etwas, das sie noch gar nicht benennen können.
Stilistisch ist der Roman zugänglich und dabei voller Empathie. Höflich schreibt mit klarer Sprache, die ein feines, poetisches Gespür aufweist – besonders dann, wenn sie die leisen Momente zwischen den Figuren einfängt: ein Blick, ein Zögern, ein verschlucktes Wort. Diese Zwischentöne machen die emotionale Tiefe des Romans aus. Man merkt, dass es der Autorin nicht nur um Handlung, sondern vor allem um Atmosphären geht; um das Unsagbare zwischen all dem, was laut gesagt werden muss.
Thematisch greift „Maikäferjahre“ große Fragen auf: Was bedeutet Vergebung – und wem steht sie überhaupt zu? Kann Liebe über politische und persönliche Abgründe hinweg wachsen? Wie geht man mit Schuld um, wenn sie nicht eindeutig zuzuordnen ist – wenn Täter:innen auch Opfer sind und umgekehrt? Und was bleibt vom Ich, wenn alles Äußere, das es einmal definiert hat, verloren ist?
Der Roman ist durchzogen von Brüchen – historischen, emotionalen, familiären. Doch gerade in diesen Brüchen liegt seine Kraft. Denn Sarah Höflich verzichtet auf einfache Antworten. Sie erzählt nicht, um zu versöhnen – sondern um zu zeigen, wie mühsam echte Versöhnung ist. Und wie notwendig.
„Maikäferjahre“ ist ein berührender, fein erzählter Roman über das Ende eines Weltkriegs – und den sehr persönlichen Beginn eines neuen Lebens. Ein Buch über Liebe in Zeiten der Schuld. Über Vertrauen, das wachsen muss. Und über die zarte Hoffnung, dass etwas blühen kann, wo eben noch alles in Schutt lag.