Auseinanderbrechende Familienzeiten

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Aus einem intimen Moment heraus beginnt diese Familiengeschichte: Lotte bastelt eine Fotocollage ihrer Mutter, möchte ihr zumindest bildlich nah sein. Die Zwillinge Lotte und Fritz sind bei den Großeltern in Brünn untergebracht, während der ältere Bruder Alfred zur NAPOLA geht. Mutter Emma hat den untreuen Vater Pavel, der in Graz lebt, verlassen und arbeitet als Köchin in Davos die Familienschulden ab. Es ist das Jahr 1940.
Kapitelweise springen wir bis ins Jahr 1945, lernen über die Gedanken der vier Familienmitglieder die gesamte böhmisch-österreichische Familie Prochazka kennen. Ihre Nöte und Herausforderungen vermehren sich wie die Trümmer der sie umgebenden Außenwelt.
Die schnell wechselnden, kurzen Kapitel in Multiperspektive erzeugen eine Erzähldynamik und lassen das Bild einer disparaten Familie entstehen, die an ihrem privaten, zwischenmenschlichen Gefüge wie an dem historisch bedingten Überlebenskampf innerhalb der nationalsozialistischen Herrschaft zu zerbrechen droht. Im zweiten Teil des Romans übernimmt die im ersten Teil abwesende älteste Tochter Helga die Erzählstimme. Sie plant in der Gegenwart das jährliche Familientreffen, blickt auf ihr eigenes Leben und das ihrer Familie zurück, bewertet die verschiedenen Phasen des familiären Fremdseins, der gegenseitigen Annäherung, die kleinen Gesten des Stützens und Vergebens.
Obwohl ich Romane mag, die mit Leerstellen, Brüchen und wechselnden Perspektiven erzählen, hätte ich mir bei MALVENFLUG länger andauernde Momentbeschreibungen gewünscht, die die einzelnen Figuren lebendiger hätten werden lassen. Im ersten Teil schreiben sich die Familienmitglieder distanzierte Briefe oder verfallen in zeitdiagnostische Gedanken, so dass sie eher wie Statisten eines Bühnenstücks wirken. Auch der zweite Teil, obwohl dieser fokussierter nur bei Helga bleibt, kann die vereinzelten Erzählfiguren nicht mehr zusammenbringen. Ein ambitionierter Familienroman, der vielleicht mit weniger Figuren und kleinerer Zeitdimension besser funktioniert hätte.

Danke an @vorablesen und den @ottomuellerverlag für das Rezensionsexemplar