Die Geschichte einer Familie

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kleine hexe Avatar

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Das Dritte Reich war eine harte Zeit. Egal ob im annektierten Brünn, im “Heim ins Reich" gezwungene Graz oder im freien Davos. Ursula Wiegele webt ein spannendes Bild der Familie Prochazka während des Dritten Reiches und in der Zeit danach.
Denn in Davos, wo Emma Prochazka als Köchin in diversen Hotels, Sanatorien aber auch privat arbeitet, kann sie jederzeit ausgewiesen werden, als “Reichsdeutsche”, obwohl sie eigentlich Österreicherin ist. In Brünn geht es einige Jahre gut, als Deutscher zu leben, bis die Bombardements anfangen und danach, nach Kriegsende, kommt für die Sudetendeutschen eine schreckliche Zeit, bis sie nach Österreich oder Deutschland flüchten können. (Böse Zungen könnten behaupten, sie zahlen nun die Zeche für die Herrenjahre während des Protektorats.)

Dem Buch vorangestellt ist eine Liste der handelnden Personen, das erleichtert den direkten Einstieg in die Handlung. Und man kann immer wieder darauf zurückkommen, wenn man sich nicht sicher ist, wie die Verbindung zur Familie Prochazka besteht.
Im ersten Teil wechselt die Handlung zwischen Davos, Brünn und Graz und die jeweils dort lebenden Personen erzählen die Familiengeschichte aus ihrer Sicht. Eine Mutter die weit weg, in der Schweiz schuftet, um die Schulden abzubezahlen und ihre Kinder in der Obhut mal ihrer Eltern, mal ihrer Schwiegereltern lassen muss, ein kleines Mädchen, dass sich nach der Mutter sehnt und immerzu an sie denkt, die große Schwester, die in einen Kirchenorden eintritt, danach in einer Blindenanstalt arbeitet, der große Bruder der auf eine Napola-Schule gehen muss, der jüngste Bruder der ganz indoktriniert zu sein scheint, die Gehirnwäsche der Nazis hat auf ihn voll gewirkt. Und dazwischen der Vater, Pavel Prochazka, der sich mit diversen Liebschaften und Gelegenheitsjobs über Wasser hält. Und über allem droht das Hakenkreuz, droht der Krieg, der einen jederzeit einholen und den Boden unter den Füßen wegreißen kann. Diese dunkle Bedrohung, mal weiter weg, mal näher, spürt man während der Lektüre ganz deutlich.
Der zweite Teil des Buches, in der Zeitspanne nach Kriegsende bis in die Gegenwart, erzählt in kurzen Rückblenden von der Vertreibung der sudetendeutschen Großeltern, wie die anderen Familienmitglieder ihr Leben meistern. Alles aus der Sicht Helgas, der ehemaligen Ordensschwester, die nach dem Krieg nicht mehr in den Orden eintreten wollte. Der Krieg ist vorbei und das spürt man. Der Weg der Familienmitglieder ist weiterhin nicht leicht, aber der Schatten des Krieges ist verschwunden. Helga lebt mit ihrem Sohn und Partner im Veneto. Einmal im Jahr organisiert sie ein Familientreffen, zu dem sie alle kommen, oder es zumindest versuchen. Der Zusammenhalt aus den Kriegsjahren ist immer noch da, das Wiedersehen ist wichtig für alle.
Malvenflug? Wieso der Titel? Helga liebt Malven, auch Stockrosen genannt. Sie hat sie in einem Urlaub während des Krieges kennengelernt. Sie war 1944 für zehn Tage mit der blinden und tauben Irene in den Bergen, in Seckau. Die Malven waren so bunt und schön, Helga ist beeindruckt und erklärt: “Nur könne ich angesichts all dieser Blüten nicht glauben, dass auf der ganzen Welt ein unheilvoller Krieg tobe. Und dass die Nazis die Herren seien.” (S. 124) Helga nimmt Malvensamen mit und seither verschenkt sie allen Menschen, die sie mag, Malvensamen und sät sie überall dort aus, wo sie lebt. Die Malven begleiten sie durch all ihre Lebensstationen seither.
Dies ist ein Buch ohne Pathos, ohne offensichtliches Drama. Es sind die leisen Töne, die einem zu Herzen gehen, die einen im Buch festhalten, bis zum versöhnlichen Ende.